Ein Pfad durch die Baumkronen soll die neue Tourismusattraktion im Kreis Göppingen werden. Doch das Projekt stößt auf ein geteiltes Echo.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Wiesensteig - Der Mann am Saalmikrofon bringt es in erfrischender Offenheit auf den Punkt: so ein Baumwipfelpfad sei klasse. Das Referenzobjekt in Neuschönau im Bayerischen Wald habe er schon besucht, „und ich werde bestimmt noch einmal hingehen“, gesteht er. „Aber“, so fügt er hinzu, „das ist dort und nicht hier.“ In Wiesensteig habe er jedenfalls keine Lust auf noch mehr Verkehr.

 

Drei Stunden lang haben sich die Wiesensteiger am Mittwochabend im Residenzsaal des Schlosses über den geplanten Baumwipfelpfad informieren lassen. Mit einiger Chuzpe hat der Landrat das Leuchtturmprojekt seines Tourismuskonzepts in den Kreis Göppingen geholt. Während andere Landkreise noch auf eine Standortentscheidung des Landwirtschaftsministeriums warteten, suchte und fand Edgar Wolff einen Investor. Das Ministerium konnte daraufhin gar nicht mehr anders. Sein Reutlinger Amtskollege ist ihm deshalb immer noch gram, doch auch unter den 300 Besuchern im Wiesensteiger Schloss schlug ihm nicht nur Dankbarkeit entgegen. „Die Meinungen sind geteilt“, bekannte der Bürgermeister Gebhard Tritschler.

Bedenken aus der Bürgerschaft

Es werde jeden Tag Stau geben. Der Wald am Reußenstein, in dessen Nähe der Baumwipfelpfad angelegt werden soll, sei an schönen Tagen jetzt schon überlaufen. Die geschätzte Besucherzahl von 250 000 im Jahr sei im Anbetracht von 400 000 Besuchern in Neuschönau wohl untertrieben, lauteten die Bedenken aus der Bürgerschaft. Als Wortführer der Kritiker profilierte sich dabei ausgerechnet der Vorsitzende des Gewerbe- und Fremdenverkehrsvereins, Andreas Pohl. Positive Effekte für andere Betriebe am Ort erwarte er durch den neuen Magneten nicht. „Wir werden nur Tagestouristen bekommen.“

Tritschler sieht in dem Baumwipfelpfad, der sich laut dem Investor ohne größere Eingriffe in die Natur realisieren lässt, hingegen eine große Chance für die Stadt und den Kreis. „Es ist ja nicht so, dass wir keine Probleme hätten.“ So seien in den vergangenen zwölf Jahren 42 Prozent der Arbeitsplätze und mehr als 400 Einwohner in dem 2100 Einwohner zählenden Städtchen abgewandert. Aufgrund der engen Hanglage sei die Ansiedlung von Gewerbe aussichtslos. Die Finanzierung der Infrastruktur werde immer schwieriger.

Bis zu 800 Autos mehr durch Wiesensteig

Gleichwohl sei das Projekt wie eine Rose: mit einer schönen Blüte, aber auch mit Dornen. 6000 Autos fahren täglich durch Wiesensteig. Das ist vergleichsweise wenig, doch die Ortsdurchfahrt ist extrem eng. Sollten an schönen Tagen tatsächlich bis zu 4000 Besucher zum Wipfelpfad kommen, könnten sich nach Schätzungen des Landratsamtes bis zu 800 Autos mehr durch den Ort zwängen. „Das wird nicht funktionieren“, sagte Pohl. Der Geislinger Oberbürgermeister Wolfgang Amann bekannte neidvoll, dass er den Baumwipfelpfad auch gerne auf seiner Markung gesehen hätte. Wiesensteig solle die Chance nun nutzen.

So sah es auch ein Bürger, der sich im Vorfeld der Veranstaltung an Tritschler gewandt hatte: „Wenn wir das wieder versemmeln, kann uns keiner mehr helfen.“