An jeder Ecke wird im Stadtbezirk Nord gebaut – mit der Folge, dass sich der Stadtquartier stark wandeln wird.

Stuttgart - Der Stuttgarter Norden sei eine einzige Baustelle, klagt eine Anwohnerin. Lärm und Schmutz machen nicht nur ihr, sondern vielen Anwohnern zu schaffen. Überall werden Gebäude abgerissen und entstehen Neubauten. „Der Norden ist der Bezirk, in dem am meisten passiert“, sagt Sabine Mezger. Die Bezirksvorsteherin sieht aber nicht nur die Schattenseiten des Baubooms, sondern auch die Chancen: Im Norden sollen vor allem auch bezahlbare Wohnungen entstehen. Mezger träumt davon, dass sich ihr Stadtbezirk in naher Zukunft zu einem urbanen, lebenswerten Viertel entwickelt, in dem die unterschiedlichsten Menschen gern zusammen leben.

 

Die Grundlage für ihre Vision ist das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell, kurz SIM. Das Modell verpflichtet Bauherrn dazu, bis zu 30 Prozent geförderte Wohnungen bereitzustellen. Ein Drittel davon entfällt auf preiswertes Wohneigentum, ein weiteres Drittel auf Mietwohnungen für Menschen mit mittlerem Einkommen und ein Drittel sollen Sozialwohnungen sein.

In drei Jahren 685 Wohnungen fertig gestellt

Seit 2014 wurden 685 Wohnungen fertiggestellt. Darunter sind mittlerweile auch 40 fast komplett bezogene Wohnungen auf dem früheren Messegelände sowie 85 Studentenwohnungen an der Ecke Nordbahnhof-/Rosensteinstraße.

Noch dieses Jahr fertig werden sollen 150 Wohneinheiten an der Nordbahnhof- /Eckartstraße, 21 im Wohnpark Azenberg und 137 im Villengarten an der Seestraße.

Für den Wohnblock Look 21 mit 100 Einheiten an der Türlen-/Heilbronner Straße ist die Baugrube ausgehoben worden. „Einen Termin für die Fertigstellung gibt es allerdings noch nicht“, stellt Mezger fest. Im Postdörfle an der Birkenwaldstraße entstehen 18 und an der Heilbronner-/Gaucherstraße 105 Wohnungen.

Bis zum Sommer 2018 sollen die Flüchtlinge am Killesberg aus den Containern im Bereich Rote Wand ausziehen. Geplant ist dort dann der Bau von 120 Wohnungen. Weitere 150 Wohnungen soll es im Media Forum an der Rosenstein-/Nordbahnhofstraße geben und mindestens 20 an der Wolfram-/ Nordbahnhofstraße. Im ehemaligen Postareal an der Rosenstein-/Goppeltstraße sind 200 Wohnungen angedacht. Das Projekt ruht laut Bezirksvorsteherin Mezger allerdings noch.

Unterm Strich sind das über 1000 neue Wohnungen, die relativ kurzfristig, also innerhalb von drei Jahren, im Stuttgarter Norden entstehen sollen. Mittelfristig, innerhalb von sechs Jahren, kommen laut Mezger „mindestens weitere 850 Wohnungen“ dazu – und zwar 250 auf dem ehemaligen Südmilchareal und 500 bis 600 auf dem Areal des ehemaligen Bürgerhospitals und einem Grundstück der städtischen Abfallwirtschaft. Das Stuttgarter Architektenbüro Pesch Partner hat Ende März den Wettbewerb für die Bebauung gewonnen. Ein Grund dafür war, dass die identitätsstiftenden Gebäude mit einbezogen werden. Demnächst soll der Entwurf im Bezirksbeirat Nord vorgestellt werden.

Infrastruktur muss sich der Entwicklung anpassen

Im Rosensteingebiet, also dem Gleisbogen, geht es um den Bau mehrerer tausend Wohnungen. Die Bahn AG wird das Gelände voraussichtlich 2022 freimachen. „Ich hoffe, dass sich bei der Entwicklung dieses Areals weiterhin viele Bürger mit ihren Ideen beteiligen“, sagt Mezger. Sie rechnet bereits in naher Zukunft mit einem Zuwachs von rund 15 000 Einwohnern. „Das bedeutet, dass sich ihr Stadtbezirk und vor allem das Nordbahnhofviertel komplett in seiner Struktur verändern und es natürlich auch wesentlich mehr Schüler als bisher geben wird“, sagt sie.

Die Konsequenz daraus ist, dass die Verkehrswege wie zum Beispiel der sehr enge Eckartshaldenweg angepasst werden müssen. Außerdem müssten die Stuttgarter Straßenbahnen die Haltestellen sicherer machen. Und ganz wichtig: Es müsse wieder Ersatz für die BW-Filiale in der Nordbahnstraße geben, die 2015 ins Milaneo in den Stadtbezirk Mitte umgezogen ist. Für die Bewohner im Nordbahnhofviertel gibt es nur noch ein SB-Servicecenter in der Nordbahnhofstraße mit Geldautomat, Kontenservice und Kasten für Überweisungen. Auch müsse die Kassenärztliche Vereinigung darauf hin wirken, dass sich weitere Arztpraxen ansiedeln. Bekomme man das sowie eine soziale Durchmischung der Bewohner hin, bietet sich die Chance zur Entwicklung eines lebendigen Stadtquartiers. „Ohne riesige Hochhäuser. Das gibt die Topografie nicht her. Mit Grünzügen und Sichtachsen und einer guten Nahversorgung“, träumt Mezger den Traum von einem liebenswerten Norden.

Zum Albtraum kann die Entwicklung dann werden, wenn die soziale Durchmischung der Bewohner nicht klappt. „Dann wird ein Wohnbereich schnell isoliert“, sagt Mezger und ist überzeugt, dass die Chancen größer als die Risiken sind.