Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe hat zum Abschluss des NSU-Prozesses in München selbst gesprochen – und überrascht mit einer Bitte an den Richter.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

München - Die Ahnung, dass dies das Finale sein würde, war da, schon früh am Morgen. So zeitig wie schon lange nicht mehr waren die ersten Zuschauer gekommen. Die Amseln hatten gerade zum Höhepunkt ihres Morgenkonzertes angesetzt, rund um das Münchner Oberlandesgericht. Noch einmal patrouillierten die Abschleppwagen in den Nebenstraßen, um den Weg frei zu machen für den Gefangenentransport aus Stadelheim, und nahmen die parkenden Autos der Touristen an den Kran. Die Bewohner des Viertels haben sich inzwischen widerwillig an das absolute Halteverbot gewöhnt; sie hoffen, dass die Einschränkung bald Geschichte ist.

 

Aber Gewissheit, dass dies auch der letzte Verhandlungstag im Prozess um die Taten des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) sein würde, die gab es auch noch nicht, als Manfred Götzl die Anwesenden mit einem „Guten Morgen“ begrüßte, ganz so, wie es der Vorsitzende Richter an den 436 Verhandlungstagen zuvor gemacht hatte. Es war 9.47 Uhr, als das Finale des NSU-Prozesses am Dienstag begann. Es sollte nach mehr als fünf Jahren erst der zweite Tag sein, an dem die Öffentlichkeit die Stimme von Beate Zschäpe zu hören bekam – der Tag, an dem sich die Hauptangeklagte in dem Terrorprozess an den Vorsitzenden Richter wandte mit der Bitte, ein Urteil „unbelastet von öffentlichem Druck“ zu finden und sie nicht für Dinge zu bestrafen, die sie „nicht getan und nicht gewollt“ habe.

Der Saal A 101 des Oberlandesgerichts München ist ein schmuckloser Betonbunker. Wer drinnen sitzt, der kann nicht erahnen, ob draußen der Schneesturm wütet oder die Sonne brennt. Seit dem 6. Mai 2013, dem ersten Prozesstag, hatte das Gericht, hatten die vier Angeklagten und ihre Verteidiger, die drei Vertreter der Bundesanwaltschaft und 60 Anwälte, die mehr als 90 Nebenklägern beistanden, hier fast schon ihr zweites Zuhause.

Auch der Tag des Finales war nicht von Anträgen verschont

Dienstags, mittwochs und donnerstags zumeist, das waren die Prozesstag – wenn diese nicht abgesagt werden mussten, weil Befangenheitsanträge zu prüfen, Beweisanträge abzulehnen, Entlassungsgesuche zu entkräften waren. Von diesen Anträgen gab es viele. Auch der Tag des Finales war davon nicht verschont. Der Nebenklägeranwalt Adnan Erdal wollte, dass bei der Urteilsverkündung das Kreuz im Gerichtssaal abgehängt wird. Pause, Beratung, Antrag abgelehnt.

Das NSU-Verfahren ist kein gewöhnlicher Strafprozess gewesen. Nicht, weil die Ermittlungsakten rund 300 000 Seiten umfassen, nicht, weil die Prozessdauer rekordverdächtig war. Es ist ein besonderer Prozess, weil es sich hierbei stets auch um ein politisches Verfahren gehandelt hat; weil die Richter nach der Schuld der Angeklagten gefahndet haben, die Öffentlichkeit aber viel mehr an Aufklärungsarbeit gefordert hat. Allen voran die Bundeskanzlerin: 2012, bei der zentralen Trauerfeier in Berlin für all die Opfer, die vom NSU ermordet wurden, da hatte Angela Merkel „volle Aufklärung“ versprochen. Dass ein Trio durch das Land gezogen war, um Menschen gnadenlos zu töten, nur weil diese keine deutschen Menschen waren, das war und das ist unerträglich. „Wir tun alles, um aufzuklären“, sagte Angela Merkel.

Im Schlusswort richtet sie ihr Wort an die Angehörigen: „Mein aufrichtiges Mitgefühl“

Beate Zschäpe ist das Symbol dieses Prozesses. Sie ist die Hauptangeklagte. 43 Jahre ist sie inzwischen alt, und in der Untersuchungshaft gealtert. Sie ist die einzige Überlebende des Nationalsozialistischen Untergrundes. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind tot. Die beiden Uwes sollen die insgesamt zehn Morde begangen haben, begangen an neun Migranten und einer Polizistin. Sie sollen drei Bombenanschläge, 15 Raubüberfälle und zahlreiche Mordversuche verübt haben, bevor sie sich selbst gerichtet haben, als die Polizei im Anmarsch war.

Beate Zschäpe soll der Kopf des Trios gewesen sein. Dass sie das selbst völlig anders sieht, hat sie am Dienstag noch einmal erklärt. „Ich hatte und habe keine Kenntnis darüber, warum Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt diese Leute ausgesucht haben und diese Orte“, sagte Beate Zschäpe in ihrem Schlusswort – und entschuldigte sich bei den Angehörigen der Opfer. „Mein aufrichtiges Mitgefühl.“

Beate Zschäpe wollte ihr Anwälte nicht mehr

Es ist ein Indizienprozess. Es gibt kein genetisches Material, das in irgendeiner Form belegen könnte, dass Zschäpe an den Taten beteiligt war. Es gibt Zeugenaussagen, viele von einer Qualität, die mit dürftig noch wohlwollend umschrieben ist. Und es gibt kein Geständnis. Beate Zschäpe schweigt, bis auf ihr Schlusswort, und bis auf eine Ausnahme zuvor. Als Angeklagte ist das ihr gutes Recht. Und ihre Verteidiger haben ihr dazu geraten – ihre ersten Verteidiger. Das Anwaltstrio sitzt auch am Dienstag auf der Bank, nahe an Beate Zschäpe, die an diesem Tag Schwarz trägt, zusammen mit einem hellen Tuch um den Hals. Emotional befindet sich ihre Mandantin jedoch in einer anderen Galaxie.

Beate Zschäpe wollte ihre Anwälte nicht mehr, die Anwälte wollten auch nicht mehr. Kein Vertrauen, Band zerbrochen. Doch der Münchner Richter Manfred Götzl ließ die Pflichtverteidiger nicht ziehen, zusätzlich zu ihnen sitzt allerdings inzwischen ein zweites Verteidigerteam neben der Hauptangeklagten. In ihrem Schlusswort setzt Beate Zschäpe dann noch einen Seitenhieb auf die Altverteidiger. Vielleicht wäre am Anfang des Prozesses Gelegenheit zur Aussage gewesen, doch dann sei sie zu sehr verunsichert gewesen, durch den Prozess und durch die Medien.

Inhaltlich hat Beate Zschäpe nichts Neues zur Sache gesprochen

Die neuen Verteidiger hatten gleich zu Beginn ihrer Arbeit im Juli 2015 angekündigt, mit dieser Schweigetaktik zu brechen: Der Ankündigung sind wenig Worte gefolgt. Es war am 29. September 2016, es war der 313. Verhandlungstag. Die Verteidiger hatten einen Katalog an Fragen beantwortet, im Namen ihrer Mandantin, da erklärte auch diese, dass sie sich erklären wolle. Es war eine kurze Erklärung, kaum eine Minute lang. Aber es war das erste Mal, dass die Öffentlichkeit ihre Stimme hörte. Ein Blick in die Pressearchive zeigt, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen sein können. „Fest und klar“ habe sie geklungen, schrieben die einen. „Die Stimme klingt dünn, sie spricht leise“, erklären die anderen. „Sehr schnell“ habe sie gesprochen, ist dort zu lesen, „hochdeutsch“ ebenso wie „mit Thüringer Akzent“. Nur dass Beate Zschäpe inhaltlich nichts Neues zum Besten gegeben hat, darin waren sich die Beobachter einig.

Am Dienstag nun hat Zschäpe wieder gesprochen. Etwa fünf Minuten lang, nichts Neues zur Sache. Sie legte Wert darauf, dass ihre Worte „keine anwaltlichen Formulierungen“ enthalten. Sie distanzierte sich von den Verbrechen, erklärte, dass „rechtes Gedankengut keine Bedeutung mehr für mich hat“. Unwiderruflich habe sie mit dem Kapitel abgeschlossen. So oder so ähnlich hat Zschäpe dies in der Vergangenheit auch schon durch ihre Verteidiger erklären lassen.

Beate Zschäpes Einlassung war nicht ohne Selbstmitleid

Die Strafprozessordnung sieht vor, dass die Angeklagten das letzte Wort haben. Was sie dabei sagen, steht ihnen frei. Beate Zschäpe nutzte am Dienstag die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass sie sich von den Medien falsch interpretiert fühlt, was auch bei ihr zu einer Verunsicherung geführt habe. „Ich bin ein mitfühlender Mensch, ich konnte die Wut und den Schmerz der Angehörigen spüren“, sagte sie, und auch, dass sie seit ihrer frühesten Jugend so erzogen worden sei, dass sie ihre „Gefühle nicht nach außen trage“.

Beate Zschäpes Einlassung war nicht ohne Selbstmitleid. Sie sprach von Konzentrationsstörungen in der Untersuchungshaft und davon, dass sie der Prozess und die Medienberichterstattung verunsichert habe. Zugleich erklärte sie, wie leid es ihr tue, dass sie den Hinterbliebenen der Mordopfer ihre Angehörigen nicht zurückgeben könne. „Ich bereue zutiefst“ sagte Zschäpe, die ihre rund fünfminütiges Schlusswort vom Blatt ablas.

Neben Beate Zschäpe haben auch drei der vier Mitangeklagten die Chance des letzten Wortes ergriffen. Am knappsten Ralf Wohlleben. Der mutmaßliche Hauptunterstützer sagte, dass sein Anwalt schon alles gesagt habe. Holger G., der die Gruppe unterstützt haben soll, entschuldigte sich knapp bei den Hinterbliebenen. Carsten S., der mutmaßliche Waffenbote, erklärte, dass sich die Schuld nicht abtragen lasse, die er auf sich geladen hat. Ein Treffen mit Angehörigen der Mordopfer sei für ihn sehr wichtig gewesen, sagte der Mann, für den die Bundesanwaltschaft mit drei Jahren Jugendstrafe die geringste Haftdauer beantragt hat. Nur André E. schwieg.

Dann, am 3. Juli um 10.30 Uhr, wurde aus der Ahnung Gewissheit. Manfred Götzl kündigte an, er werde das Urteil in der nächsten Woche verkünden: am Mittwoch, dem 11. Juli, um halb zehn.