Der Komödienstadl im Tor spielt in Hoffenheim: Der Trainer will Tim Wiese holen, die Fans wollen Tom Starke behalten. Eine Oskar-Beck-Kolumne.

Stuttgart - Die Geschichte der Menschheit ist gespickt mit Traumduos. Adam und Eva. Fix und Foxi. Hänsel und Gretel. Simon und Garfunkel. Pat und Patachon. Maria und Josef. Dick und Doof. Romeo und Julia. Max und Moritz. Robben und Ribéry. Asterix und Obelix. Starsky und Hutch.

 

Nur mit Tom und Tim wird es nix.

Beide sind Torwart, doch zwischen den Pfosten ist nur für einen Platz, dummerweise auch in Hoffenheim. Dort steht zurzeit Tom Starke im Kasten, aber vor ein paar Tagen hat er erfahren, dass bald Tim Wiese seinen Job kriegen soll. Vor lauter Wut ballte Starke darauf am letzten Samstag gegen Nürnberg die Faust in der Tasche, statt damit einen Flatterball vor dem 0:1 sachgemäß abzuwehren, und sein einziger Trost im Kampf gegen den Rivalen ist der geballte Treueschwur seiner Fans im Stadion. „Das bewegt mich“, sagt Tom.

Für Tim dagegen sind die Bilder von dieser Massendemo in seiner mutmaßlich neuen Heimat höchstens halb so bewegend und menschlich – denn die Hoffenheimer Fans halten Pappendeckel hoch, auf die feindselig die Worte gepinselt sind: „Koan Wiese!“

Die „Koan“-Fraktion der militanten Neinsager

Das hätte nicht kommen dürfen, nicht ausgerechnet jetzt – nur ein paar Tage, nachdem die „Koan“-Fraktion der militanten Neinsager auf der Richterskala der grässlichsten Irrtümer mit einer glatten 10 überführt worden ist. Denn wenn es nach denen in München gegangen wäre, würde kein Mensch neuerdings vom „Magier von Madrid“ schwärmen – und Hertha BSC nicht mit Thomas Kraft absteigen, denn der stünde statt Manuel Neuer immer noch im Tor der Bayern.

„Wann entschuldigen die sich endlich mal?“, hört man Uli Hoeneß seit Tagen in Richtung der einstigen „Koan Neuer“-Krieger grunzen, verbunden mit der klammheimlichen Frage, ob statt der Torhüter und Linksaußen nicht eher solche Fans ein Rad ab haben, die den besten Torwart der Welt nicht wollen. Nun wiederholt sich die haarsträubende Geschichte in Hoffenheim. Dort will der Trainer Babbel den zweitbesten deutschen Torwart verpflichten, muss sich aber dafür entschuldigen. „Wenn man einen Torwart wie Tim Wiese ablösefrei kriegen kann“, wehrt er sich mit dem Rücken zur Wand und mit brüchiger Stimme, „muss man es tun.“ Jedenfalls als Trainer. Sonst ist man als Trainer eine Lusche.

Die eigene Narrenfreiheit

Der Fan hat es leichter. Der Fan muss für nichts geradestehen. Was für ihn zählt, ist deshalb weniger Wieses Ablösefreiheit als die eigene Narrenfreiheit, und losgelöst von allen Zwängen sagt er locker, wie die Dinge zu laufen haben – im Übrigen will auch der Fan in diesen Zeiten der zunehmenden Bürgerbeteiligungen und Volksabstimmungen nicht mehr nur Eintritt zahlen, Tore bejubeln oder als Pyromane das Stadion anzünden, sondern gefälligst auch gefragt werden, ob der Tim im Tor steht oder der Tom.

Rudi Assauer hat diese direkte Demokratie als Erster kommen sehen, schon vor vielen Jahren als Manager in Schalke trieben ihn die Machtgelüste der Fans in den Verzweiflungsschrei: „Sollen wir vor dem Spiel Handzettel verteilen, und die Zuschauer schreiben ihre Aufstellung drauf?“ Dabei waren die Fans damals noch relativ handzahm. Inzwischen platzen sie vor Selbstbewusstsein und gönnen sich Allüren wie eine Diva.

„Wenn du deine Birne jeden Tag in der Zeitung siehst, wirst du irgendwann total Banane“, hat der unvergessene Ex-Weltmeister Icke Hässler einmal gesagt, und ähnlich verhält es sich mit dem Fan, der sich zu oft im Fernsehen sieht. Live, in Farbe und in Großaufnahme, tobend, singend und gähnend wird er ständig als Hauptfigur eingeblendet, kriegt gar nicht mehr genug von diesem mächtigen Gefühl der Bedeutsamkeit – und nachdem mittlerweile auch noch der Funke des Feuers vom Wutbürger auf den Wutfan übergesprungen ist, meutern sogar die bislang von ihrem Mäzen so verwöhnten Hoffenheimer, ohne Rücksicht auf Hopp, Gott und die Welt .

Tim oder Tom? Da drohen Menschenketten und Sitzblockaden, und notfalls vermummt wollen sich die Starke-Getreuen in den Strahl der Wasserwerfer stürzen oder auf dem Stadionparkplatz an die Anhängerkupplung von Babbels Auto ketten, weil der sich hinter ihrem Rücken in die Verhandlungen mit Wiese verstrickt hat.

Herr, schmeiß Hirn herunter

„Wiese – betreten verboten!“ stand neulich bedrohlich auf einem Transparent, und geringfügig größer als die Chance, dass ihn in Hoffenheim eine gemähte Wiese erwartet, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihm die Fans dort im Sommer als Willkommensgruß keine Kusshände, sondern volle Bierbecher und brennende Feuerzeuge an den Kopf werfen würden, untermalt von „Wiese, du Arschloch!“-Gesängen.

Herr, schmeiß Hirn herunter, fleht jedenfalls Markus Babbel zum Himmel und schaut aus, als wäre er lieber Fan geworden. Stattdessen ist er Trainer und muss schauen, dass er einen Klassetorwart findet – denn wenn er nur einen weniger guten hat, der Flatterbälle gelegentlich unzureichend wegfaustet und Punkte kostet, wird selbst der warmherzigste Fan irgendwann nichts mehr wissen wollen von der Frage Tim oder Tom, sondern fuchsteufelswild durchs Stadion brüllen: „Koan Babbel!“

Fan ist ein Traumjob.