Die Reportageserie „#Beckmann“ (Dienstagabend, 23 Uhr in der ARD) geht der grün-schwarzen Gesinnung von Winfried Kretschmann auf den Grund. Macht es ihm die Bundesebene nach? In nachmittäglichen Sitzungen muss der Ministerpräsident sein Schlafdefizit bekämpfen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Wo steht Winfried Kretschmann? Dies zu beantworten, fällt selbst seinen Grünen schwer. Hin- und hergerissen sind sie von ihm. Der geübte Politiker-Flüsterer Reinhold Beckmann erforscht die Kontraste in einer Folge der ARD-Reportageserie „#Beckmann“, zu sehen an diesem Dienstag. Kretschmann ist für ihn der Wirtschaftsversteher, der sich im Kreis der Autobosse offenbar wohler fühlt als in seiner Partei – aber auch der leidenschaftliche Umweltbewahrer, der Zetsche & Co. infolge des Abgasskandals sagt: „Jetzt ist mal Schluss mit dem Mauern.“

 

Emsig fahndet Beckmann nach den Widersprüchen in dem unbequemen 68-Jährigen, der sich fast ausschließlich an der eigenen Meinung orientiert. Einem Kritiker seiner Abschiebungspolitik liest Kretschmann schon mal die Leviten: „Du musst nicht so tun, als seist du der oberste Pächter der Menschenrechte.“ Auch bei der Vermögensteuer oder der inneren Sicherheit scheint er näher an der CDU zu sein als bei den Seinen. Folglich reklamiert er schon mal den Posten eines Innenministers für seine Partei: „Es ist Zeit, zu zeigen, das mal zu machen, um zu zeigen: Auch das können wir.“

Eine erneute Huldigung für Merkel verkneift er sich

Kretschmann wirkt wie der Wegbereiter eines schwarz-grünen Bündnisses im Bund. Ist er der heimliche Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl? „Was wäre, wenn Winfried Kretschmann auf dem Berge Sinai neue Tontafeln erhalten würde“, spottet Joschka Fischer milde und fügt knapp hinzu: „Grün-Schwarz geht, ja – Schwarz-Grün auch.“ Warum passiert es dann nicht? „Bundesgeschäftsstelle“, sagt der grüne Altmeister nur. Überhaupt findet Beckmann mehr Befürworter einer Koalition mit der Union als mit SPD und Linkspartei. Als Erfolgsmodell sehe er persönlich Rot-Rot-Grün nicht, sagt der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. „Was wir in Baden-Württemberg erreicht haben, sollten wir auch auf Bundesebene tun.“

Mit Kanzlerin Angela Merkel verbindet Kretschmann laut Beckmann ein „eigenartig inniges Verhältnis“. Bundespräsident sollte Kretschmann nach ihren Vorstellungen werden – im Gegenzug bekannte der Schwabe, für die Gesundheit der Kanzlerin zu beten. Seine Hommage an Merkel, mit der er Anfang November in der Talkshow „Maischberger“ Teile der Grünen vergrätzt hatte, mag er nicht wiederholen. Heute würde er manches anders formulieren.

Am liebsten läuft er im Parka durch Laiz

Vielfach handelt es sich um eine neue Betrachtung von Altbekanntem. So sind es gerade die leisen Töne, die das Porträt sehenswert machen. Der termingestresste Kretschmann berichtet, dass er ständig ein Schlafdefizit habe. Eigentlich bräuchte er acht Stunden pro Nacht. „Unter sechs Stunden geht wirklich nicht.“ Dann bekomme er in nachmittäglichen Sitzungen Schlafattacken: Es passiere ihm regelmäßig, dass er dann nur noch gegen eines kämpft – gegen den Schlaf. Über die eigene Energie wundert er sich selbst.

Der Mann bleibt stets ganz bei sich. Sohn Johannes schildert, dass der Ministerpräsident zwei, drei Lieblingspullover habe. „Da ist mein Vater höchst uneitel, was Kleidung angeht.“ Am liebsten laufe er im Parka herum und fahre in den Baumarkt – so wie er dies die letzten dreißig Jahre im Sigmaringer Ortsteil Laiz gemacht habe.