Freie Künstler gehören zu denen, die Corona am meisten beutelt. Auch der Ludwigsburger Musiker und Komponist Volker Luft befürchtete, die lange geplante Uraufführung seines Werks zum Beethoven-Jahr werde flachfallen. Doch jetzt kam es anders.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Ironie des Schicksals? Das Coronavirus dimmt die Musik ausgerechnet gerade im Feierjahr für jenen Komponisten herunter, dem die fortschreitende Taubheit erbarmungslos die Stille aufzwang. Es ist Beethoven-Jahr – und viele Konzerte, die zu diesem Anlass geplant waren, mussten abgesagt werden.

 

Die „Beethoven-Variationen für Streichquartett Opus 57“, die der Ludwigsburger Gitarrist, Musikpublizist und Tonsetzer Volker Luft zum Gedenkjahr komponiert hat, ereilt dieses triste Schicksal nicht. Das Zürcher Casal Quartett, unter anderem mit dem Klassik-Echo ausgezeichnet, wird es am Donnerstag im Bietigheimer Kronenzentrum uraufführen – unter strengen Corona-Auflagen. „Ich bin riesig dankbar. Es gibt wenige Städte, die so etwas derzeit auf sich nehmen und durchziehen“, sagt Volker Luft.

Dem Schicksal in den Rachen greifen

Ludwig van Beethoven versuchte einst, sich der Ausweglosigkeit seiner Lage entgegenzustellen. „Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiss nicht“, schrieb er im Jahr 1801 an seinen Freund Franz Gerhard Wegeler. Unter dieses kämpferische Zitat hat Volker Luft den Satz „Fatum“, lateinisch für Schicksal, gestellt – wie er überhaupt jedem seiner Streichquartett-Sätze ein Beethoven-Zitat zum Geleit gibt. „Das Wissen darum, dass er seine Existenzgrundlage und alles, was ihn ausmacht, verliert, die Verzweiflung, der Kampf, der Überlebenswille: Das wollte ich widerspiegeln“, erzählt Luft über „Fatum“. Er sagt es zu einem Zeitpunkt, zu dem wieder viele Musiker Existenzsorgen plagen, wenn sie auch anderer Art sind. Auch ihm selbst als Konzertgitarristen brachen seit März jede Menge Konzerte weg.

Auf Jubiläumsjahre hin gezielt zu komponieren, das war für Volker Luft kein Neuland – auch nicht, sich auf die Besetzung mit einem Streichquartett zu fokussieren: „Man will ja schließlich auch aufgeführt werden.“ Schon zum Luther-Jahr hatte er ein Werk beigesteuert, das mehrfach zur Aufführung kam. „Luthers Lebensweg ließ sich wunderbar mit chronologisch dazu passenden musikalischen Zitaten kombinieren“, erzählt er. „Erst dachte ich, das könnte ich mit Beethoven auch so ähnlich machen. Das hat aber überhaupt nicht funktioniert.“ Stattdessen konzentrierte sich 56-Jährige auf die Höhen und Tiefen in Beethovens Leben und die damit verbundenen Gemütszustände: Leidenschaft, Verzagtheit, Sehnsucht, Traurigkeit, Überschwang.

Premiere in Pandemie-Zeiten

Erschienen sind die Beethoven-Variationen im Leipziger Hofmeister-Verlag, mit dem er schon lange zusammenarbeitet. Volker Luft bot sie verschiedenen Quartetten an, verschickte Klangbeispiele – und war, so erzählt er, „vollkommen überrascht, wie viele Rückmeldungen ich bekommen habe“. Sogar ein Streichquartett aus Australien interessierte sich dafür.

Auch das Casal Quartett meldete sich – und bot an, die Uraufführung zu übernehmen. Das Kulturamt der Stadt Bietigheim-Bissingen zögerte nicht lange und schlug als Veranstalter zu. Eine Premiere zum Beethoven-Jahr aus der Feder eines regionalen Komponisten mit einem so aparten Ensemble: „Wir dachten, das klingt spannend, das machen wir“, sagt der Bietigheimer Kulturamtsleiter Stefan Benning.

Doch dann kam die Pandemie. „Wir mussten mehrere Veranstaltungen absagen“, berichtet Benning. Auch die Uraufführung wackelte bis zum Sommer. „Viele Konzertbesucher sind sehr vorsichtig und haben Vorbehalte gegen geschlossene Räume. Uns war aber auch klar, dass wir trotzdem ein Angebot machen müssen.“

Halbes Programm, doppeltes Konzert

Ein Abend mit kleiner kammermusikalischer Besetzung sei „unter größten Vorsichtsmaßnahmen und mit auf reine Frischluft umgestellte Klimaanlage“ mittlerweile möglich. Damit alle Zuhörer, die teils schon vor Corona Tickets hatten, das Konzert hören können, kürzte das Casal Quartett das Ursprungsprogramm und spielt es am Donnerstagabend stattdessen doppelt – vor jeweils der Hälfte der Besucher, die auf Abstand platziert werden. Der Abend ist ausverkauft.

Damit stehen die Zeichen gut, dass die Geschichte der Luft’schen Beethoven-Variationen so positiv gefärbt ausgehen wie ihr letzter Satz, dem das Finale der Neunten Sinfonie zugrunde liegt. Jene überbordende „Ode an die Freude“ also, in der sich Beethovens Humanismus und Hoffnungskraft musikalisch Bahn brechen. „Ich habe schwer mit mir gekämpft, ob ich im Finalsatz nicht die Gebrochenheit der heutigen Welt stärker durchscheinen lassen und ihn atonaler komponieren soll“, sagt Volker Luft. Aber Beethoven habe ja selbst in politisch unruhigen Zeiten gelebt – und trotzdem diesen „absolut positiven Schlussakzent“ gesetzt.