Sein markantes Gesicht kennt jeder Fernsehzuschauer. Sein Name aber ist nicht jedem geläufig. Jetzt hat der Filmbösewicht Christian Redl eine CD mit melancholischen Chansons eingespielt. Der StZ-Autor Tomas Fitzel hat sich mit ihm unterhalten.

Stuttgart - Er ist jetzt sechsundsechzig. Mit fünfzig konnte er sich ein lebenswertes Leben jenseits der sechzig überhaupt nicht vorstellen. Sein Leben war bis dahin ein einziges aufreibendes Auf und Ab. Und plötzlich wurde alles ganz anders. Sein Name hat sich zwar noch immer nicht fest eingeprägt, obwohl ihn in der Rolle des einsamen Kommissars Krüger in der letzten Folge des Spreewaldkrimis „Mörderische Hitze“ über sechs Millionen Zuschauer sahen. Sein Gesicht erkennt dagegen jeder. Man muss nur sagen: dieser Schauspieler mit dem markanten, blank polierten Schädel, ein Kopf wie aus Granit gemeißelt – und genau dies kann Christian Redl nicht leiden: wenn man immer wieder nur auf sein Aussehen zu sprechen kommt. „Bei mir sagt man: ich bring die Leute um, das könnte man sich zumindest gut bei mir vorstellen.“ Deswegen wird er im Fernsehen fast immer nur als Filmbösewicht besetzt.

 

In der persönlichen Begegnung mit ihm stellt man dagegen schnell fest, in ihm steckt ja ein Komödiant, ein Clown. Auf der Bühne spielte er viele komische Rollen: in Shakespeares Sommernachtstraum oder gegenwärtig in der Komödie Sunny Boys. Nur von den Fernsehredakteuren kann sich dies offenbar keiner vorstellen.

Sanfte melancholische Töne

Anders als der finster schweigsame Kommissar Krüger spricht Redl überraschend freimütig über all seine Krisen, seine Selbstzweifel, seine Depressionen und seine langjährigen Probleme mit dem Alkohol. Dabei wirkt dieser Mann nach außen stabil wie ein Felsen. Seine Karriere verlief ebenfalls stetig ohne sichtbare Einbrüche. Nach vielen Jahren auf der Bühne unter wichtigen Regisseuren wie Claus Peymann, Luc Bondy und Peter Zadek bekommt er mehr und mehr Filmrollen. Für seine Rolle als „Hammermörder“ wird er 1991 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. „Das war ja das Blöde dabei“, sagt er, „denn das konnte keiner vermuten. Jeder dachte ich sei so stark. Das Äußere trügt da eben.“

Er hat in diesem Jahr eine CD mit von ihm komponierten und getexteten Chansons aufgenommen. Um diese zu promoten gibt er eine Reihe von Interviews. Der schlichte Titel der CD lautet „Sehnsucht“. Unerwartet sanfte melancholische Töne sind zu hören. Wobei Redl weniger singt, als vielmehr in einer Art Sprechgesang erzählt und vieles preisgibt. Im Titelsong besingt er seine eigene Kindheit. „Wenn der Sommer müd’ und alles verblüht und eine sengende Hitze regiert, wenn nicht eine Wolke vorüberzieht und mein sanftes Gemüt die Geduld verliert, dann sehne ich mich nach der Winterzeit, die mir schon immer die liebste war, nach Kälte und Geborgenheit, ich sehn mich nach Bildern aus Kindertagen …“

Fantasien vom eigenen Tod

Durch dieses Lied kann man Redl begreifen: „Der schönste Moment meines Lebens war, wenn ich an der Hand meiner Großmutter spazieren ging. Das ist der Augenblick von Seligkeit, nach dem ich mich mein ganzes Leben immer wieder zurückgesehnt habe: nach dieser Unschuld.“ Manche dieser Lieder erzählen eins zu eins seine Erlebnisse. Die missglückte Reise nach Paris mit einer Frau. Diese Männerfigur, die er besingt, ist alles andere als sympathisch. Er schont sich hier nicht. In einem Lied fantasiert er den eigenen Tod – einen schönen plötzlichen Tod auf der Bühne.

Als Redl am 20. April 1948 in Schleswig geboren wird, sagt der Arzt zu seiner Mutter im Wochenbett: „Was für ein schöner Soldat!“ Schließlich ist jener Tag noch immer als „Führergeburtstag“ präsent. Dabei war Redls Vater als gebrochener Mann aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt. Nie Verständnis für den Sohn, cholerisch. Flüchtet sich in den Alkohol. Ein strenger Lehrer und schließlich sogar Schulrat. Christian Redl schafft dagegen das Abitur nicht und enttäuscht den Vater. Und als er endlich das erste Mal auf der Bühne steht, stirbt der Vater kurz vor der ersten Aufführung an Herzversagen. So bekommt Christian Redl nie die Gelegenheit, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Redl ist wiederum selbst nie Vater geworden. Vielleicht hängt auch dies miteinander zusammen. Er wollte nie er selbst sein, sondern immer ein anderer. „Ich besaß kein Verhältnis zu mir selbst, keinerlei Selbstwertgefühl. Es war ein ewiger Kampf mit den eigenen Minderwertigkeitsgefühlen und der Angst, dass die anderen dies bemerken könnten.“

Abgründe und innere Dämonen

Rast- und ruhelos zieht Redl von Kneipe zu Kneipe. Er möchte nichts verpassen, so als würde ihm das Leben nur noch wenige Jahre gönnen. „Schon mit 30, ja schon mit 20 Jahren hatte ich das Gefühl, eigentlich schon alles verpasst zu haben. Ich zerrieb mich jahrelang in Gram und Kummer, weil ich nur daran dachte, was ich alles nicht geschafft, was ich nicht bekommen und welche Fehler ich gemacht habe. Mein Blick war immer nur nach rückwärts gerichtet.“

Diese Abgründe und inneren Dämonen, von denen er so freimütig erzählt, in seinen Liedern nimmt man sie nur noch als ein fernes Echo wahr. Gebändigt und eingebettet im samtenen Sound der Melancholie. Die skeptische Frage an ihn, ob er diese inneren Dämonen denn nun wirklich für immer hinter sich gelassen habe oder ob er sie nicht vielmehr damit nur einlullen wolle, bringt ihn für einen kurzen Moment ins Schleudern.

Endlich die richtige Frau

Es ist auch nicht einfach zu sagen, ob er nicht auch hier nur eine neue Rolle passend zu seinen Liedern einübt, denn seine Geschichte, diese sagenhafte Wendung in seinem Leben ist zu gut, als dass sie einfach wahr sein könnte. Vor fünf Jahren verliebt er sich. Nicht das erste Mal, aber zum ersten Mal in die richtige Frau. An Beziehungen hat er längst nicht mehr geglaubt. Er selbst gibt zu, das klänge wie aus einem Kitschfilm, denn solche Wunder gibt es im wahren Leben eigentlich nicht. Aber seither sei er mit einem Mal mit sich selbst versöhnt und könne auf sein gesamtes Leben ohne Zorn mit einer gelassenen, fast heiteren Sicht zurückblicken. Und auch über dieses Wunder singt er auf seiner CD. Frühestens im nächsten Jahr will er mit seinen Liedern dann auch auftreten, denn bis dahin muss alles perfekt sein.