Dinaw Mengestu gehört zur neuen Generation von Autoren mit afrikanischen Wurzeln, die zurzeit die Literatur aufwirbeln. Ein Gespräch mit dem 36-Jährigen über seinen neuesten Roman „Unsere Namen“. Die StZ-Autorin Sacha Verna hat ihn getroffen.

Stuttgart - Ein junger Amerikaner findet in Paris die Liebe seines Lebens, wird Hausmann und besorgt zunächst ohne, dann mit zwei schnuckeligen Kindern in der Bäckerei um die Ecke jeden Tag die Croissants fürs Frühstück. Das ist kein besonders origineller Plot, zugegeben. Aber gewisse Geschichten schaffen es immer wieder auf die Bestsellerlisten, je autobiografischer, desto eher. Dinaw Mengestu hat auf diesen Stoff verzichtet. Dabei entsprach das Pariser Idyll sieben Jahre lang tatsächlich seinem Leben. Stattdessen erzählt der 36-jährige Autor in seinem neuen Roman von einem Äthiopier im Uganda der 1970er Jahre, der dem Blutvergießen in die Vereinigten Staaten entkommt, wo er eine weiße Frau und die erst offiziell abgeschaffte Rassentrennung kennenlernt.

 

„Unsere Namen“ ist Dinaw Mengestus drittes Buch. Mengestu gilt als eine der führenden Stimme der sogenannten „afrikanischen Diaspora“, die Kritikern und Lesern zufolge zurzeit die englischsprachige Literatur aufwirbelt. Er sitzt, umgeben von Kinderkunst und -chaos im Zimmer für alles der Wohnung, in der er mit seiner Familie in New York zur Untermiete wohnt. Vor zwei Jahren ist er mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Jungen zurück in die USA gezogen, um eine befristete Dozentenstelle an der Georgetown University in Washington DC anzunehmen. Ab Herbst wird er unbefristet und krankenversichert als Professor am Brooklyn College Literatur unterrichten.

Geboren in der äthiopischen Haupstadt

„Es mag manche überraschen“, fährt Dinaw Mengestu fort, „aber die Literatur aus und über Afrika beginnt und endet nicht mit Chinua Achebe.“ Schriftsteller wie Chinua Achebe, Wole Soyinka oder Nuruddin Farah erlangten in den 60er und 70er Jahren mit Werken internationales Ansehen, in denen sie sich mit der Auflösung des Kolonialsystems auseinandersetzten. „Wir sind die Erben dieser Generation, aber unser Thema ist nicht mehr der Postkolonialismus. Wir befassen uns mit den Auswirkungen der Migration.“ Dinaw Mengestu wurde in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba geboren und wuchs in den Vereinigten Staaten auf. Teju Cole („Open City“) wurde in den USA geboren und wuchs in Nigeria auf. Chimananda Ngozi Adichie („Americanah“) pendelt zwischen Lagos und Baltimore, Tayie Selasie („Diese Dinge geschehen nicht einfach so“) hat in Yale studiert und jettet zwischen Ghana und London umher. „Außer unserer Hautfarbe haben wir kaum etwas gemeinsam“, sagt Mengestu über diese etwa gleichaltrigen Autoren, die wie er unter dem „New Africa“-Label firmieren. „Aber es stimmt, dass wir alle mit gespaltenen Identitäten groß geworden sind.“

Die Erfahrung, mehreren Kulturen zuzugehören, ist keine Eigenart afrikanischer Weltbürger. Besonders Einwanderern aus Afrika scheint man aber in der Erwartung gegenüberzustehen, sie kämen direkt aus einer Strohhütte in der Savanne. „Als ich Isaac erblickte, war mein erster Gedanke, dass er größer war und gesünder aussah als erwartet. Meine Überraschung erlaubt Rückschlüsse auf zwei Vorurteile, derer ich mir überhaupt nicht bewusst gewesen war: dass Afrikaner erstens klein seien und dass zweitens selbst diejenigen, die die ganze weite Reise in die Collegestadt im Herzen Amerikas angetreten hatten, Anzeichen für Krankheiten oder Unterernährung aufweisen müssten.“ So beschreibt Helen ihren ersten Eindruck des jungen Mannes, für dessen Betreuung sie als Sozialarbeiterin zuständig ist.

Wissen kann schmerzhaft sein

Helens Kapitel spielen im Jetzt von „Unsere Namen“, in den 1970er Jahren in einer Kleinstadt im Mittleren Westen. Isaac schildert im Wechsel dazu seine Vergangenheit, die er mit einem Teil seiner selbst in Afrika zurückgelassen zu haben hofft. Helen versucht dem Fremden, in den sie sich verliebt, Konturen zu verleihen und realisiert bald, wie schmerzhaft Wissen sein kann. „Ich bevorzuge Figuren, die sich emotional zurückhalten“, so Mengestu. „Als Schriftsteller fühlt man sich als Teil der Welt und versucht zugleich, sich selber aus der Welt herauszuhalten, die man beschreibt.“ „Unsere Namen“ handelt vom Zustand der Heimat- und Ichlosigkeit und davon, wie die historische Realität Beziehungen bestimmt. Es geht darin auch ums Erfinden von Geschichten. „Wir können alles über einen Menschen wissen und ihn doch nicht kennen“, sagt Dinaw Mengestu. „Erst indem wir einander erlauben, neue Geschichten für uns zu erfinden, gelangen wir zu dem, was uns wirklich ausmacht und was uns hilft, andere zu verstehen.“

Schwierig erweist sich die Neuerfindung allerdings, wenn einem bereits eine Rolle zugedacht ist. Isaac war in Afrika wie jeder andre. In Amerika wird er zum Schwarzen unter Weißen. Seine Affäre mit Helen findet heimlich statt. Der Versuch, öffentlich gemeinsam zu Mittag zu essen, verdirbt beiden den Appetit. Mengestu ist ein zu subtiler Autor, um derartige Szenen auszuwalzen. Auf den Rassisten in sich stößt man auch so. In Uganda wird Isaac Zeuge, wie ein Häufchen verängstigter Dorfbewohner ein Häufchen verängstigter Flüchtlinge abschlachtet, um nicht selber umgebracht zu werden. Auch da vermeidet Mengestu das effekthascherische Ausrufezeichen des „Seht her, wozu der Mensch fähig ist!“. Was er zeigt, ist die Gnadenlosigkeit menschlicher Verzweiflung.

Fünf Löffel Zucker in den Kaffee

Dinaw Mengestu hat Taschentücher zur Hand. Das liegt allerdings an den Allergien, die ihn gerade quälen und nicht an den Themen, mit denen er sich bisher befasst hat – Nationalismus, Vertreibung, Träume, Traumata. „Heavy stuff“, räumt er ein, ernstes Zeug. Dabei rührt er fünf Löffel Zucker in einen Fingerhut Kaffee. Wo er sich das Leben versüßen kann, tut er es. Mengestu hat nicht die Absicht, sich literarisch bis ans Ende seiner Tage mit migrationsbedingten Identitätskrämpfen herumzuschlagen. „Ich habe gerade etwas Neues begonnen, und bis jetzt kommen darin keine Einwanderer vor.“ Auch kein Daddy in Paris. „Aber was nicht ist, kann noch werden.“ Ein potenzieller Bestseller, garantiert.