Busse und Bahnen sollen bis 2022 vollständig behindertengerecht werden. Doch der Weg dahin ist weit, wenn man sich anschaut, wieviel Mal Behinderte und Senioren allein im vorigen Jahr Unterstützung beim Einstieg in den Zug benötigten.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Für hilfsbedürftige Menschen ist es manchmal nicht einfach, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Schon ein kaputter Aufzug am Bahnhof kann zum unüberwindbaren Hindernis auf dem Weg zur Bahn werden. Mehr als 650 000 Mal benötigten Behinderte und Senioren allein im vorigen Jahr  Unterstützung beim Einstieg in den Zug. Das zeigt eine aktuelle Auskunft der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen. Der Schriftwechsel liegt der Stuttgarter Zeitung vor.   Die Antwort des Bundesverkehrsministeriums zeige „den erheblichen Handlungsbedarf, barrierefreie Mobilität zu ermöglichen“, sagte der Bahnexperte der Grünen, Matthias Gastel. Der demografische Wandel werde diese Entwicklung noch beschleunigen. Die Regierung tue aber bisher zu wenig, Menschen mit Behinderung eigenständige Mobilität ohne fremde Hilfe  zu ermöglichen, wie es auch internationale Rechtsnormen verlangten.     

 

Das deutsche Personenbeförderungsgesetz schreibt vor, dass bis 2022 der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) vollständig barrierefrei sein soll. Die Frage nach den damit verbundenen Investitionen lässt das Haus von Verkehrsminister Alexander Dobrindt offen und verweist auf die Zuständigkeit der Länder und Verkehrsunternehmen für den ÖPNV, den der Bund mit fast neun Milliarden Euro pro Jahr finanziere.   Ein Problem für Behinderte ist zum Beispiel die Nutzung von Fernbussen, da die Haltestellen selten barrierefrei sind und erst seit diesem Jahr nur in neu zugelassenen Fahrzeugen zwei Stellplätze für Rollstühle vorgesehen sind. Zudem sind nach Angaben der Grünen nur rund 200 von rund 1400 Rollstuhl-Modellen für den sicheren Transport im Bus zugelassen, weil sie über entsprechende Ausrüstung verfügen. Die Krankenkassen übernähmen bisher keine Nachrüstungskosten.  

Unterschiedliche Einstiegshöhen besonders an

S-Bahnhöfen sind ein Problem

Im Bahnverkehr wiederum verfügen bisher nur 55 von rund 400 Reisezentren über barrierefreie Schalter und nur 40 über barrierefreie Aufrufsysteme, wie die Bundesregierung und die DB Station & Service einräumen. Bei den 6700 Fahrkartenautomaten soll ein neues Modell für bessere Zugänglichkeit entsprechend der  gültigen EU-Verordnung 1300/2014 (TSI PRM) sorgen.  

Ein weiteres Problem sind unterschiedliche Einstiegshöhen besonders an S-Bahnhöfen, an denen auch Nahverkehrszüge halten. Nach Auskunft  der Regierung gibt es bundesweit an rund einem Drittel der S-Bahn-Stationen und deren Bahnsteige solchen für Behinderte problematischen Mischverkehr. Die Grünen fordern hier eine stärkere Trennung von Nah- und Regionalverkehr, um den ebenerdigen Zustieg ohne Hilfsmittel zu ermöglichen.

Die teilweise Erhöhung von Bahnsteigen bewertet die Regierung auch wegen höherer Unfallgefahr skeptisch.  Ministerium und Deutsche Bahn lassen die Frage unbeantwortet, welcher Anteil der milliardenschweren Investitionsmittel für bundeseigene Schienenwege, den der Staatskonzern jedes Jahr erhält, in den barrierefreien Umbau von Bahnhöfen fließt. Dies sei nur „mit hohem personellen Einsatz“ ermittelbar, teilte die DB Station & Service AG mit. Das zeige einmal mehr die intransparente Verwendung der Steuermittel und die unzureichende Kontrolle durch den Bund, kritisieren die Grünen.

Förderprogramm im Umfang von 50 Millionen Euro

Die häufigen und langen Störungen von Aufzügen und Rolltreppen sind ein ständiges Ärgernis für viele Reisende. Hier sind die Vorschriften zum Betrieb der Stationen bisher sehr lax. Die  Bundesregierung will mit dem „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich“ auch mehr Anreize zur Verringerung von Störungen schaffen. Derzeit läuft das Gesetzgebungsverfahren, der Entwurf wurde Mitte Januar vom Kabinett beschlossen.

Damit auch kleine Stationen barrierefrei werden, hat die Regierung ein Förderprogramm im Umfang von 50 Millionen Euro aufgelegt. Die Auswahl aus den Förderanträgen der Länder bleibe aber allein der DB überlassen, kritisiert Gastel. Der Bund müsse in der Bahnpolitik mehr Verantwortung übernehmen.