Die Zahlen, die die Caritas vorlegt, sind erschreckend: Jedes fünfte Kind im Land sei arm oder von Armut bedroht. Und damit nicht genug: Arme Kinder haben auch bei der Bildung einen klaren Nachteil.

Stuttgart - Der Kindergeburtstag mit bunten Ballons, Freunden und einer großen Geburtstagstorte, die Klassenfahrten mit den Schulfreunden, die Tore im Fußballverein und der darauffolgende Freuden-Jubel oder das erste Klavierkonzert vor der stolzen Familie. Das sind alles Momente, an die sich jeder auch noch Jahre später gerne erinnert. Fast jeder. „Jedes fünfte Kind in Baden-Württemberg ist arm oder armutsgefährdet“, so Caritasdirektor Pfarrer Oliver Merkelbach. Das sind insgesamt 385 000 Kinder. Trotz guter wirtschaftlicher Konjunktur hat sich die Lage in den letzten Jahren massiv verschlechtert. Sie müssen auf Dinge verzichten, die für andere Kinder selbstverständlich sind.

 

Kinderarmut ist kein neues Phänomen. „Wir haben immer wieder zu hören bekommen: ‚Kinderarmut in Baden-Württemberg? Wo denn? Ich kann keine sehen?‘ Das stimmt“, sagt Merkelbach. 2018 seien keine hungernden zerlumpten Kinder auf den Straßen. Das bedeutet nicht, dass es keine Armut gibt. Armut sei mit Scham besetzt und deshalb eine versteckte Not.

Aus armen Kindern werden oft arme Erwachsene

Armutsgefährdete Familien könnten sich aber keine Nachhilfe leisten und haben von Grund auf einen schlechteren Zugang zu Bildung. Niedrige Bildungsabschlüsse und geringer Verdienst im Job sind die Folgen. Aus armen Kindern werden oft arme Erwachsene.

Zum 100-Jahr-Jubiläum stellt der Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart deswegen die Initiative „Mach dich Stark“ vor. „Dass Kinderarmut nebenan wohnt, ist leider bittere Realität“, so Merkelbach.

In Angeboten der derzeit 13 Kinderstiftungen in ganz Württemberg werden Kinder aus benachteiligten Familien vor Ort unterstützt. Der Rentner Klaus Jerschkewitz ist ehrenamtlicher Helfer bei dem Vorleseprojekt „Lesewelten“ der Kinderstiftung Ravensburg. Im dortigen St. Andreas Kindergarten liest er den fünf- bis sechsjährigen Kindern Geschichten vor, erklärt einzelne Wörter und spricht mit ihnen über ihren Familienalltag. „Die Kinder freuen sich immer und mir macht es auch Spaß“, sagt der 73-jährige. Beim Projekt „Grünfinder“ der Kinderstiftung Ulm/Donau-Iller erforschen und entdecken Kinder mit Erlebnis- und Naturpädagogen die Natur in ihrer Nachbarschaft. Dies sind Angebote für alle Kinder – egal ob arm oder reich. Sie sollen den Zusammenhalt stärken und den Kindern aus ärmeren Familien Selbstbewusstsein geben.

Die Politik muss die Rahmenbedingungen verändern

Diese Projekte sind ein erster Anfang bei der Bekämpfung der Kinderarmut. Die Caritas freut sich über jede Unterstützung und spricht Privatmenschen, sowie Unternehmen und Institutionen an, um mit ihnen allen Kindern Entwicklung und Teilhabe zu ermöglichen. „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Es gibt tolle Aktionen, die man bundesweit ausbreiten kann“, sagt Angelika Hipp-Streicher, Fachleitung Kinderstiftung Ravensburg.

Doch zuerst sei es Aufgabe der Politik, dafür Rahmenbedingungen zu schaffen. „Es ändert nichts am Grundproblem von Armut, wenn die Landesregierung nach dem Feuerlöscher-Prinzip einzelne Projekte im Land fördert und hier punktuell Geld zuschießt“ sagt Merkelbach. Das derzeitige Bildungssystem könne Kinderarmut bisher nicht verhindern.