Die Zweifel wachsen wieder, ob die Bundesregierung die Mehrbelastung bei den Betriebsrenten beseitigen kann – zu uneins sind sich die Koalitionäre in Detailfragen. Doch der Druck bleibt groß: Immer mehr Betroffene äußern ihre Wut.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zeigt Verständnis: „Ihre Kritik kann ich gut verstehen“, schrieb er im Mai sieben Betriebsräten großer deutscher Handelsunternehmen. „Niemand kann bestreiten, dass mit diesen Vorschriften in der Krankenversicherung das Ziel der Bundesregierung konterkariert wird, die betriebliche Altersversorgung auszubauen.“ Sein Ziel sei es, dass die Betriebsrentner – wie auch bei der gesetzlichen Rentenversicherung üblich – „nicht den vollen, sondern nur den halben Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung tragen müssen“. Entsprechenden Einfluss wolle er auf Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ausüben. Dabei ist dieser federführend an der Sache dran.

 

Demnach wollen beide Minister das Gleiche: die sogenannte Doppelverbeitragung beseitigen, wonach Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sowohl bei der Einzahlung in die betriebliche Rentenversicherung als auch bei der Auszahlung im Alter anfallen. Oberhalb einer Freigrenze von aktuell 155,75 Euro monatlich fällt auf Betriebsrenten nicht nur der Arbeitnehmeranteil, sondern der volle Satz bei den Sozialversicherungsbeiträgen von etwa 18 Prozent an. Dies schmälert die betriebliche Altersvorsorge um fast ein Fünftel.

Koalitionskrise könnte Fortschritte blockieren

Ob die Minister die strittige Finanzierungsfrage lösen, erscheint angesichts der Groko-Krise aber immer fraglicher. Selbst wenn seine Sprecherin einsilbig beteuert, dass sich an den Absichten nichts geändert hätte, so hat Heil die Bedeutung der Grundrente so hoch gehängt, dass er sich darauf konzentrieren dürfte, die „Respektrente“ durchzusetzen – was schwierig genug erscheint. Der Sprecher von Jens Spahn betont: Die Gespräche in der Koalition und mit anderen Ressorts „liegen nicht auf Eis“. Man halte am Ziel fest, die Belastung der Betriebsrentner zu senken – wobei auch er vage bleibt. Das erstaunt nicht, denn angesichts weiterer drohender Pleiten bei den nächsten Landtagswahlen könnte die Benachteiligung der betrieblichen Altersvorsorge im Koalitionsstrudel ganz untergehen.

Eingeführt wurde die Doppelbelastung schon mit der Gesundheitsreform Ende 2003 wegen der damaligen Notlage der gesetzlichen Krankenversicherung. Doch erst jetzt nimmt der Widerstand volle Fahrt auf, so dass die große Koalition in Berlin eine Entlastungsbereitschaft signalisiert. Immer mehr Ruheständler realisieren, welche Einschnitte Rot-Grün damals beschlossen hat. Denn davon sind keineswegs nur die Betriebsrenten tangiert – die Beitragspflicht gilt für sämtliche Kapitalzahlungen aus der betrieblichen Altersvorsorge, auch für die Direktversicherungen inklusive einmaliger Kapitalabfindungen.

„Unglaubliches Verlustgeschäft“ gemacht

Der Stuttgarter Helmut Drummer zum Beispiel ist darüber so „sehr wütend“, dass er offen konkrete Auskünfte über seine Erfahrungen gibt. Demnach habe er – quasi auf Empfehlung der damaligen Regierung – seit 2004 insgesamt 25 200 Euro in eine Rentenversicherung bei der Neue Leben Pensionskasse eingezahlt und 2018 bei Renteneintritt 30 140 Euro ausgezahlt bekommen. Davon musste er jedoch gut 18 Prozent, also 5600 Euro, an die Kranken- und Pflegeversicherung abführen. Damit habe er bereits ein „unglaubliches Verlustgeschäft“ von 660 Euro gemacht. Zudem müsse er den Auszahlungsbetrag auch noch versteuern, was ein zusätzliches Loch in die Altersvorsorge reiße. Hätte er in der Arbeitsphase keine Entgeltumwandlung vorgenommen, hätte er auf diesen Gehaltsteil den halben Arbeitnehmeranteil an den Krankenversicherungsbeiträgen zahlen müssen – jetzt zahle er den vollen Beitrag, für den er nicht eine einzige zusätzliche Leistung erhalte.

Arbeitgeber gegen Spahn-Entwurf

Gesundheitsminister Spahn hat bereits einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen, der aber wegen der Finanzierungsfrage noch vor der Abstimmung der Ministerien vom Kanzleramt gestoppt wurde. Auch die Arbeitgeber Baden-Württemberg lehnen den Entwurf ab und mahnen eine differenzierte Debatte an. „Grundsätzlich gilt: Betriebliche Altersvorsorge darf nicht sowohl in der Anspar- als auch in der Rentenphase mit Sozialbeiträgen belastet werden“, sagt Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick. „Die doppelte Belastung bedeutet eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung der betrieblichen Altersvorsorge, die dadurch unattraktiv wird.“ Beim Spahn-Vorschlag gehe es jedoch um eine pauschale Entlastung von Betriebsrenten – er sei daher „nicht zielgerichtet“. Davon würden auch die Betriebsrenten profitieren, die aus beitragsfreiem Entgelt finanziert wurden. „Eine solche Privilegierung von Betriebsrenten sähen wir kritisch.“

Insbesondere sei unklar, wie die hierdurch entstehenden Beitragsausfälle in der Kranken- und Pflegeversicherung finanziert werden müssen. „Die Gesamtheit der Beitragszahler darf angesichts der notwendigen Begrenzung der Sozialabgaben nicht dafür herangezogen werden, und auch für zusätzliche Steuerzuschüsse ist der Spielraum begrenzt“, betont Dick.