Die Außenminister der 30 Nato-Staaten treffen sich in Riga, um über Russlands Militärpräsenz an der Grenze zur Ukraine zu beraten. Das Thema ist brisant – genauso wie die Wahl des Tagungsorts.

Riga - Deutschland und die USA haben Russland vor einem Angriff auf die Ukraine gewarnt. „Für jegliche Form von Aggression müsste Russland einen hohen Preis zahlen“, erklärte der geschäftsführende Bundesaußenminister Heiko Maas am Dienstag zu Beratungen mit Nato-Kollegen in der lettischen Hauptstadt Riga. US-Außenminister Antony Blinken sagte, „jede neue Aggression würde schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen“.

 

Hintergrund der Äußerungen der Politiker sind Erkenntnisse der Nato, nach denen Russland in der Nähe der Grenze zur Ukraine erneut ungewöhnlich große Truppenkontingente und moderne Waffen zusammengezogen hat. „Die militärischen Aktivitäten Russlands an der Grenze zur Ukraine geben uns Anlass zu größter Sorge“, kommentierte der geschäftsführend amtierende SPD-Politiker Maas. Wichtig seien jetzt ehrliche und nachhaltige Schritte zur Deeskalation, die nur über den Weg von Gesprächen führten. „Ich werde nicht müde zu betonen, dass die Tür zu solchen Gesprächen für Russland weiter offensteht“, ergänzte er.

Nato-Generalsekretär bezeichnet Situation als besorgniserregend

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bezeichnete die Situation ebenfalls als besorgniserregend und nannte Russlands außenpolitisches Agieren „aggressiv“. Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics sagte, die jüngsten Ereignisse seien Erinnerungen daran, dass Russland weiterhin eine Bedrohung darstelle. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte am Vortag in Kiew von 115 000 russischen Soldaten an der gemeinsamen Grenze gesprochen.

Wie eine Reaktion der Nato auf weitere Aggressionen Russland gegen die Ukraine aussehen könnten, ließen Maas und Blinken offen. Denkbar sind beispielsweise harte neue Wirtschaftssanktionen der Bündnisstaaten. Ein militärisches Eingreifen in den Konflikt gilt wegen der Gefahr eines großen Krieges als unwahrscheinlich.

Was die Gründe für den massiven russischen Truppenaufmarsch in der Nähe der Ukraine sind, ist unklar. Die Regierung in Moskau behauptet, dass von Russland keine Gefahr ausgehe, und argumentiert, dass sie auf russischem Staatsgebiet Truppen nach eigenem Ermessen bewegen könne.

Lawrow kritisiert Militärpräsenz westlicher Staaten

Russlands Außenminister Sergej Lawrow kritisierte am Dienstag zudem einmal mehr die Militärpräsenz westlicher Staaten an der russischen Grenze. Es seien Tatsachen, dass Länder Truppen und militärisches Gerät in großer Zahl aus Übersee „an unsere Grenzen bringen, (...) und die Vereinigten Staaten uns von allen Seiten mit ihren Militärstützpunkten eingekreist haben“. Diese „Fakten“ kenne „höchstwahrscheinlich jedes Schulkind“, sagte er der Staatsagentur Tass zufolge. Dennoch werde ständig Hysterie geschürt.

Die britische Außenministerin Liz Truss sagte zu Vorwürfen dieser Art, jede Unterstellung, dass die Nato die Russen provoziere, sei offensichtlich falsch. Die Nato sei ein Bündnis, das auf dem Grundsatz der Verteidigung und nicht dem Prinzip der Provokation beruhe. Sie warnte Russland mit Blick auf die Ukraine davor, einen „strategischen Fehler“ zu begehen.

Baltenstaaten waren trotz Kritik beigetreten

Denkbar ist unterdessen auch, dass der russische Truppenaufmarsch in Verbindung mit dem Nato-Treffen in Lettland steht. Zum ersten Mal wird eine Tagung der Nato-Außenminister in dem direkt an Russland grenzenden Bündnisstaat organisiert. Lettland und die anderen zwei Baltenstaaten Estland und Litauen waren dem Bündnis 2004 trotz scharfer Kritik Moskaus beigetreten.

Zu der Frage, ob das Militärbündnis erwarte, dass Moskau die Ukraine weiter destabilisieren wolle, verwies Nato-Generalsekretär Stoltenberg jüngst darauf, dass Russland bereits bei der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim und bei der Unterstützung der Separatisten in der ostukrainischen Region Donbass gezeigt habe, dass es den Willen und die Fähigkeiten habe, militärische Gewalt einzusetzen.

Auch Afghanistan-Einsatz Thema

Thema der zweitägigen Nato-Beratungen sind neben der Lage im Osten des Bündnisses die laufenden Arbeiten an einem neuen strategischen Konzept für das Bündnis und die Aufarbeitung des in einem Debakel geendeten Afghanistan-Einsatzes. „Als erste internationale Organisation hat die Nato ihre Rolle in Afghanistan gründlich in einem internen Prozess analysiert. Das ist ein wichtiger Meilenstein bei der umfassenden Aufarbeitung des Afghanistan-Engagements der internationalen Gemeinschaft und entscheidend dafür, dass wir die nötigen Lehren ziehen“, erklärte Maas zu dem Thema. Dabei gehe es auch um die Frage der strategischen Geduld.

In Afghanistan hatten kurze Zeit nach dem Ende der Nato-Militärpräsenz in dem Land die militant-islamistischen Taliban die Macht zurückerobert. Ziel des knapp zwei Jahrzehnte dauernden Einsatzes war es eigentlich gewesen, genau das zu verhindern. Davor hatten die Taliban dem internationalen Terrorismus Unterschlupf geboten. So wurden die Anschläge, die am 11. September 2001 die USA trafen, in Afghanistan vorbereitet.