Der Verfassungsschutz wird die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen nicht beobachten, heißt es in einem Bericht des Innenministeriums. Die Voraussetzungen dafür seien nicht gegeben. Doch einige Politiker wollen die Bewegung weiter im Blick behalten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die islamische Gülen-Bewegung wird in Baden-Württemberg vorerst weiterhin nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Das zuständige Landesamt sieht bei den Anhängern des Predigers Fethullah Gülen zwar weiterhin offene Fragen, problematische Positionen und Widersprüche zwischen dem öffentlichen Auftreten und dem „nach innen gelebten Islamverständnis“. Verfassungsfeindliche Aktivitäten seien bei den Gülen-Institutionen im Südwesten – vorneweg rund vierzig Bildungseinrichtungen – jedoch nicht festzustellen. Dies ist das Ergebnis einer „Neubewertung“, die Innenminister Reinhold Gall (SPD) vor einigen Monaten angekündigt hatte. Der etwa 50-seitige Bericht wurde dieser Tage dem Landtag übermittelt.

 

Anlass für die Neubewertung waren laut dem Innenressort zunehmend kritische Nachfragen aus Politik und Öffentlichkeit. Deren Hintergrund seien auch Äußerungen Gülens und einzelner Einrichtungen, die im Widerspruch zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stünden. Der Verfassungsschutz prüfte deswegen vertieft, ob Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Dabei konnte er sich aus rechtlichen Gründen aber nur auf öffentlich zugängliche Materialien stützen.

Den einen fehlt Transparenz, andere loben den Dialog

Die Haltungen zur Gülen-Bewegung seien in Deutschland „höchst ambivalent“, heißt es in dem Bericht. Kritiker aus Wissenschaft, Publizistik und Medien bemängelten fehlende Transparenz, was Strukturen und Ziele angehe; hinter der Bildungsarbeit vermuteten sie Bestrebungen für eine Islamisierung der Gesellschaft. Die Befürworter strichen hingegen die positiven Wirkungen von Bildung und Dialog heraus. Zusätzlich ins Blickfeld geriet die Gülen-Bewegung wegen der innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Türkei. Dort gilt der in den USA lebende Prediger als Gegenspieler des Regierungschefs und Präsidentschaftskandidaten Erdogan. Auch das Fazit des Verfassungsschutzes fällt zwiespältig aus. Es bleibe eine „Diskrepanz zwischen dem nach außen hin vermittelten Bemühen um Konsens und Dialog und der religiös-ideologischen Grundlage“ der Gülen-Bewegung. Dem säkularen Auftreten stünden mangelnde Transparenz und eine „defensive Haltung“ bei Fragen nach Gülen gegenüber. Dieser werde gerne als „Inspirationsquelle“ genannt, womit „fehlende kritische Distanz“ übertüncht werde. Aussteiger aus der Bewegung blieben zudem in der Anonymität; dies könne „kaum als Indiz für Meinungs- und Entscheidungsfreiheit“ gewertet werden.

Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung seien freilich nicht gegeben, bilanziert der Bericht: Auch wenn einzelne Positionen im Gedankengut Gülens der Verfassung widersprächen, fänden diese „keinen Ausdruck in politischen Aktivitäten“ der Organisationen der Gülen-Bewegung in Baden-Württemberg. Weder im Bund noch in anderen Bundesländern werden die Anhänger des Predigers derzeit offiziell beobachtet.

Die CDU lobt die gründliche Bestandsaufnahme

Gleichwohl will die Landespolitik die Gülen-Bewegung weiterhin im Blick behalten. Der CDU-Abgeordnete Bernhard Lasotta lobte den Bericht des Verfassungsschutzes als die bundesweit wohl gründlichste Bestandsaufnahme. Angesichts der offen gebliebenen Fragen müsse man sich mit der Bewegung „weiterhin kritisch auseinandersetzen“ und einen öffentlichen Diskurs über deren Organisation und Ziele führen. Besonders die Gülen-nahen Schulen sieht Lasotta kritisch, weil dort fast nur türkischstämmige Kinder und Jugendliche zusammenkämen. Hier würden „integrationshinderliche Elemente für das Zusammenwachsen unserer Gesellschaft offenkundig“, sagte er.

Für die Grünen lobte Hans-Ulrich Sckerl den Bericht als „gute Grundlage für eine breite gesellschaftliche Debatte“. „Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft kritisch hinschauen“, betonte der Fraktionsgeschäftsführer. Die Auseinandersetzung mit Bewegungen wie Gülen solle künftig von einer öffentlichen gesellschaftlichen Institution übernommen werden, etwa einem Institut für Demokratie und Zeitgeschichte Baden-Württemberg; sie sei „keine Kernaufgabe des Verfassungsschutzes“. Dies sei einer der Eckpunkte bei der geplanten Reform des Landesamtes.