Berliner Reaktionen auf Grün-Rot Die politische Konkurrenz spielt Kassandra

Für die Koalition im Bund ist Grün-Rot in Baden-Württemberg eine Provokation. Vor allem von der CDU kommt schon jetzt harrsche Kritik.
Berlin - Für das schwarz-gelbe Regierungsbündnis in Berlin bedeutet die neue baden-württembergische Koalition eine Provokation - und dies in mehrfacher Hinsicht: Sie hat die christlich-liberale Landesregierung aus dem Amt gekippt, dient als Musterbeispiel einer Renaissance des auf Bundesebene 2005 gescheiterten Konkurrenzmodells und als Stachel im Fleisch der Regierungsparteien, die bisher einen Alleinvertretungsanspruch auf das Etikett "bürgerlich" erhoben hatten. Dass sie nun ausgerechnet in einem zutiefst bürgerlichen Land wie Baden-Württemberg künftig die Oppositionsbank drücken müssen, schmerzt.
Umso drastischer klingt die Kritik am politischen Programm der grün-roten Landesregierung. Führende Figuren des schwarz-gelben Lagers schlüpften am Mittwoch in die Rolle der Kassandra, um vor den mutmaßlichen Folgen des angekündigten "Politikwechsels" in Stuttgart zu warnen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe unterstellt der neuen Südwestkoalition, sie setze "ohne Not die Erfolgsgeschichte Baden-Württembergs aufs Spiel". Gröhe sagte der Stuttgarter Zeitung, das Duo Kretschmann-Schmid plane in der Schulpolitik grundlos eine Kurskorrektur und nehme damit Schaden für eines der erfolgreichsten Bildungssysteme Deutschlands in Kauf. "Dazu kann ich nur sagen: wer auf der Erfolgsspur die Richtung wechselt, der wird zum Geisterfahrer", rügte der christdemokratische Parteimanager. Kretschmanns Äußerungen zur Automobilindustrie nannte er eine "Frontalattacke" auf eine Schlüsselbranche. Das "halbherzige Zurückrudern" des designierten grünen Ministerpräsidenten sei wenig glaubhaft. Baden-Württemberg sei auch dank guter CDU-Politik eine Wirtschaftslokomotive für ganz Deutschland. Wer dieses Kapital nicht pflege, der schwäche das ganze Land. Gröhe mahnte: "Eine wirtschaftsfeindliche Politik in Stuttgart würde Deutschland insgesamt schaden."
Spitzensposition von Baden-Württemberg in Gefahr
Birgit Homburger, die Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion und des liberalen Landesverbandes im Südwesten, untermauerte diese Kritik. Sie warf den Wahlsiegern in Stuttgart vor, diese seien "auf dem besten Weg, die Spitzenstellung Baden-Württembergs schnell zu verspielen". Gegenüber der Stuttgarter Zeitung sagte die FDP-Frau: "Diese Regierung ist eine Gefahr für die Arbeitsplätze im Land." Den Politikwechsel im Bildungswesen benotet Homburger mit den schlechtesten Zensuren: "Grün-Rot ist auf dem besten Weg, die Spitzenstellung Baden-Württembergs schnell zu verspielen", beklagte sie. "Es sollen Lehrerstellen gestrichen werden. Die FDP hatte durchgesetzt, dass es mehr Lehrerstellen gibt, um kleinere Klassen und eine bessere individuelle Förderung der Schüler zu ermöglichen. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Künftig sollen nur noch Ganztagsschulen zulasten anderer Schulen Lehrer bekommen. Das führt zur Zwangsganztagsschule." Homburger zufolge sei es von da "nicht mehr weit bis zur Einheitsschule".
Die FDP-Fraktionschefin rügte ebenfalls Kretschmanns autokritische Äußerungen: "Es ist nie gut, wenn die Politik meint, einer erfolgreichen Industrie wie der Automobilbranche in Baden-Württemberg vorschreiben zu müssen, welche Innovationen sie anzugehen habe. Das weiß die Wirtschaft besser", sagte sie. "Baden-Württemberg ist im Moment das Innovationsland in Europa, das Land mit den meisten Patenten. Wer glaubt, er müsse das politisch steuern, der hat eine Planwirtschaft im Sinn. So riskiert man Arbeitsplätze im Land."
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