Er geht erst auf die Strecke, wenn es gekracht hat. Bernd Mayländer fährt das Safety-Car in der Formel 1. Zu Hause ist er im Remstal.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Schorndorf - Als Erstes dreht er das Wahlplakat der Grünen um, das hinter dem Schorndorfer Rathaus an einem Pfosten lehnt. Das muss ja nicht unbedingt mit aufs Foto. Die Wahlwerbung passt nicht so ganz zu seinem Auto und schon gar nicht zu seinem Job. Bernd Mayländer ist eine Motorsportinstitution. Seit zwölf Jahren steuert er das Safety-Car in der Formel 1.

 

Bei jedem Rennen steht er am Ende der Boxengasse bereit für den Notfall. Wenn er mit Blinklicht auf die Piste fährt, haben sich die Formel-1-Piloten hinter ihm einzuordnen. Meistens muss er wegen eines Crashs raus. Der 39-Jährige führt das Feld dann an, bis die Strecke von Öl oder herumliegenden Teilen gesäubert ist und die Raserei weitergehen kann.

Privat fährt Mayländer einen Mercedes E63 AMG mit 525 PS. Beim Hochbeschleunigen drückt es einen mächtig in den Sitz. Aber erstaunlicherweise hockt Mayländer mit der Ruhe eines Rentners in seinem silberfarbenen Geschoss. Gediegen gondelt er durch das Remstal. Er denkt nicht daran, auf der B29 in Richtung Aalen den Kleintransporter zu überholen. Ihn beschäftigt vielmehr, dass er den Wagen gerade durch die Waschstraße gefahren hat und es jetzt aus der Klimaanlage nach Reinigungsmittel müffelt.

In Schorndorf ist Mayländer nur selten zu sehen

"Mayländer in Schorndorf geblitzt", sagt er, "das wäre die Geschichte." Aber damit kann er nicht dienen. Mayländer ist bodenständig. Wenn Mister Safty-Car mal in Schorndorf verweilt, geht er vom Gas. Sein Formel-1-Job jagt ihn seit mehr als einer Dekade um die Welt. 286 Nächte verbrachte er im vergangenen Jahr in Hotels. Das heißt: Koffer packen, auspacken, wieder packen, wieder auspacken - und alles von vorn. "Für einen Schreibtischjob wäre der Bernd eh noch zu zappelig", sagt sein Vater Horst.

Am Sonntag geht es für seinen Sohn wieder los: Saisonauftakt im australischen Melbourne. Die nächsten Stationen sind Malaysia, China, dann die Türkei. Nach der Europasaison fliegt er mit dem Formel-1-Tross nach Singapur, vielleicht nach Japan, dann nach Korea, Indien, Abu Dhabi, Brasilien. Der Wahnsinn? "Nein", sagt der ehemalige Sport- und Tourenwagenpilot. "Nehmen wir Indien. Der Grand Prix ist neu, da war ich noch nie. Das ist der Wahnsinn."

Der reiselustige Herr Mayländer sieht die Welt - und in Schorndorf sind sie froh, wenn sie mal Mayländer sehen. In einem Café am Marktplatz wird er überschwänglich begrüßt. Die Frau an der Verkaufstheke würde ihm am liebsten einen Gratiskuchen reichen. Aber das will er nicht. "Schön, dass Sie mal wieder da sind, Bernd", sagt sie zu dem Sohn der Stadt, den sie alle aus dem Fernsehen kennen. Einer wie er passt hierher. Ein paar Schritte weiter steht das Geburtshaus von Gottlieb Daimler.

Mayländer passt eigentlich nicht in den Rennzirkus

Die schwäbisch-rustikale Atmosphäre gibt Bernd Mayländer ein Gefühl von Heimat. Man kann es auch Nestwärme nennen, Geborgenheit, kleines Glück. Er hätte ja wie die meisten Rennfahrer in die Schweiz umsiedeln können. Die Jobs als Safety-Car-Fahrer beim Weltverband Fia und als Repräsentant des Herstellers Mercedes-Benz sind lukrativ genug, um sich im Steuerparadies eine gepflegte Wohnung zu nehmen.

Bernd Mayländer denkt darüber anders. In Schorndorf am Abend mit Freunden um die Häuser zu ziehen und ein bisschen zu quatschen - das sind Werte für ihn. "Die wollen immer alles über die Formel 1 wissen", sagt er. Doch sobald er das Brumm-brumm-Thema bewusst zügig abgehandelt hat, ist er froh, wenn es um Alltägliches geht. Um den Schorndorfer Tratsch. Um das ganz normale Leben. Die kleinen Freuden und Sorgen.

Die aufgeblasene und zuweilen verrückte Formel-1-Welt ist der Gegenentwurf zur Remstaler Ländlichkeit. Mayländer, Sohn eines Coca-Cola-Betriebsleiters ("Ich habe also nicht nur Benzin im Blut"), ist bescheiden, geradlinig, ehrlich. Er passt nicht wirklich in Bernie Ecclestones wilden Rennzirkus - und doch ist er aus ihm nicht mehr wegzudenken. So einen wie Bernd Mayländer, der auf Empfehlung von Mercedes zu dem Job kam, den haben sie gesucht.

Immer in "Alarmbereitschaft"

Er ist eine verlässliche Größe. Wenn die Formel-1-Rennen durch Unfälle oder Dauerregen im Chaos zu versinken drohen, braucht es einen Pragmatiker mit kühlem Kopf. Einen, der trotz Vollgas den Überblick behalten kann. Der Schwabe macht das so gut, dass er längst zum Formel-1-Inventar gehört, allseits geschätzt und akzeptiert wird. "In den zwölf Jahren hat sich noch kein Fahrer darüber beschwert, dass ich auf die Strecke gekommen bin", sagt er.

Mayländer ist immer am Limit

Besser ist es natürlich, wenn der Sicherheitsmann während der Wettfahrt nicht auftaucht. "Ein Rennen", sagt Mayländer, "ist für mich erst dann ein gelungenes Rennen, wenn ich in der Boxengasse bleibe."

In Ländern mit hoher Luftfeuchtigkeit schaltet er als Erstes die Klimaanlage im Auto aus, um Kondenswasser an der Frontscheibe zu vermeiden. Außerdem muss er ständig darauf achten, dass seine Monitore und der Funkkontakt zur Fia-Rennleitung funktionieren. Schon beim Start sei er mindestens so aufgeregt wie die Piloten. Auch während des Rennens habe er fast einen Puls wie Fernando Alonso und Sebastian Vettel. Er nennt es "Alarmbereitschaft".

Ein kompliziertes Reglement

Sekunden nach der grünen Ampel kann er schon zu seinem ersten Einsatz kommen. Die erste Kurve ist oft die gefährlichste. Wenn Mayländer raus muss, hat das mit einer Kaffeefahrt nichts zu tun. Er muss seinen Serienwagen, einen Mercedes SLS, mit dem Bleifuß treten. Fahren Vettel und die anderen mit 200 Sachen locker hinter ihm Zickzack, um die Reifen bei dem "Schneckentempo" auf Temperatur zu halten, bewegt Mayländer sein Sicherheitsfahrzeug ständig am Limit. "Man sieht das im Fernsehen nicht so gut, doch die Formel-1-Autos sind so brutal schnell, das kann man sich gar nicht vorstellen."

Der Mann, der im Falle einer unbefriedigenden Silberpfeil-Saison für Zyniker den Mercedes mit den meisten Führungskilometern steuert, muss hochkonzentriert sein. Er sollte die Boliden hinter sich im Blick behalten, gemeinsam mit seinem Kopiloten Peter Tibbetts ("vier Augen sehen mehr als zwei") den Zustand der Strecke beurteilen und entscheiden, ob das Rennen wieder freigegeben werden kann.

Die beiden teilen ihr Urteil dann dem zuständigen Rennkommissar mit - und der erteilt wiederum Mayländer den Befehl, dass er in die Boxengasse zurückkehren soll. Das ist der komplizierte, aber einzuhaltende Weg.

Für Hamilton und Button ist er nur "Bert"

Macht der Formel-1-Polizist auch mal Fehler? Er rührt ein bisschen in seiner Kaffeetasse, denkt nach - und sagt: "Ja". Es ist nicht lange her, da kam Sebastian Vettel nach dem Rennen auf ihn zu und fragte: "Junge, was war denn da los?" Mayländer war auf der nassen Strecke in einer Kurve zu beherzt über den Randstein geräubert und wäre mit dem Safety-Car fast abgeflogen. Heute ist er felsenfest davon überzeugt, dass nur das Elektrische Stabilitätsprogramm ESP eine Reise ins Kiesbett verhindert habe.

Bernd Mayländer muss immer den Überblick behalten und trotzdem Gas geben wie der Teufel. Im Gegensatz zu ihm schauten die Rennfahrer höchst selten in den Rückspiegel. Mayländer, der in seiner Karriere in einem Mercedes ein DTM-Rennen sowie die 24 Stunden auf dem Nürburgring gewonnen hat, weiß, wovon er spricht. "Man sieht als Rennfahrer den Konkurrenten ja noch früh genug, denn irgendwann taucht er neben einem auf."

Zum Motorsport kam der gebürtige Waiblinger, dessen Freundin eine tschechische Musikerin ist, wie andere Piloten auch. Seine Eltern haben ihn immer kräftig unterstützt. Als Führerscheinneuling durfte er sich den Porsche des Vaters ausleihen, er scheuchte das gute Stück über die Nordschleife des Nürburgrings.

Danach musste der Wagen erst mal in die Inspektion. Neue Reifen, neue Bremsen, neue Flüssigkeiten - "das übliche Programm halt", sagt Bernd Mayländer, dessen Vornamen im Übrigen die britischen Formel-1-Piloten Lewis Hamilton und Jenson Button nie richtig aussprechen können. "Die sagen einfach Bert zu mir. Und manchmal auch Ernie."