An den beruflichen Schulen in Stuttgart herrscht Unsicherheit, weil offen ist, wie viele Stellen sie bewilligt bekommen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Noch liegt die Planung für das nächste Schuljahr in den meisten Stuttgarter Berufsschulen auf Eis. Nach den Pfingstferien entscheidet sich voraussichtlich, wie viele Lehrerstellen sie bewilligt bekommen und ob frei werdende Stellen wieder besetzt werden. Das ist deutlich später als üblich. In den Vorjahren hätten sie die Stellenausschreibungen im März oder April hinter sich bringen können, berichten Stuttgarter Schulleiter. „Wir hängen alle in der Luft und können nicht planen“, sagt Franz Scheuermann, der Leiter der Kaufmännischen Schule 1.

 

Er befürchtet, die Zusagen, die er im März neuen Schülern erteilt hat, nicht einhalten zu können. Sieben bis acht Lehrerstellen müsse er vom Regierungspräsidium Stuttgart zugeteilt bekommen, sonst müsse er eine Wirtschaftsoberschulklasse schließen. Für die betroffenen Schüler wäre das dramatisch: „Die haben zum Teil ihren Beruf gekündigt, um das Abitur machen zu können“, so Scheuermann.

Berufsschullehrerverband beklagt Menge der Überstunden

Die Stellensituation an beruflichen Schulen ist seit Jahren schwierig: Laut dem Berufsschullehrerverband hat sich landesweit eine Überstundenbugwelle gebildet, die 1800 Stellen entspricht. Sowohl die Industrie- und Handelskammer als auch die Handwerkskammer haben deshalb jüngst Alarm geschlagen. „Es steht schlecht um die Unterrichtsversorgung an den Berufsschulen – und das wird sich mittelfristig nachteilig für uns im Handwerk auswirken“, kritisiert der Präsident der Stuttgarter Handwerkskammer, Rainer Reichhold.

„Wir hatten immer zu wenige Stellen, aber da wussten wir, dass wir sie nicht hatten“, sagt der Sprecher der gewerblichen Schulen und Direktor der Johannes-Gutenberg-Schule, Alfred Schäfer. Aus Sicht der Schulleiter ist es „zu spät“, erst Mitte Juni zu erfahren, mit welchen Stellen sie rechnen können. Denn sie bräuchten vielfach Spezialisten als Lehrkräfte, erläutert Schäfer. Oft kämen diese aus der freien Wirtschaft und hätten entsprechende Kündigungsfristen. Hier gehe es nicht nur um das strukturelle Defizit, mit dem man seit Jahren lebe, betont auch der Schulleiter der Louis-Leitz-Schule, Roland Anger. Sie wüssten derzeit nicht, ob frei werdende Stellen zum Beispiel aufgrund von Elternzeit und Pensionierungen wieder besetzt würden. Bei ihm seien 50 Stunden Unterricht im Kernfach Betriebswirtschaftslehre von zwei Kollegen betroffen. Das sei über Mehrarbeit anderer Kollegen nicht aufzufangen. Auch die Leiterin der Technischen Oberschule an der Hohenheimer Straße, Andrea Theile-Stadelmann, sieht sich mit dem Problem konfrontiert, nicht zu wissen, wie sie den Unterricht mit dem bisher zugeteilten Personal im nächsten Schuljahr stemmen soll. „Wenn nicht entscheidend etwas passiert, können wir im nächsten Schuljahr erstmals Unterricht nicht erteilen“, warnt sie.

Den Schulen gehen wegen der Unsicherheit Lehrer verloren

Doch selbst wenn die Wünsche vom Ministerium letztlich erfüllt würden – Alfred Schäfer hat „Zweifel, ob wir die besetzen können“. Auch die Referendare würden sich natürlich umschauen. Eine Kollegin, die er gerne übernommen hätte, habe sich bis nach Schleswig-Holstein beworben. Baden-Württemberg sei mit dem Schuljahrbeginn spät dran. Es sei nur verständlich, wenn sich die Kollegen lieber „für den Spatz in der Hand als für die Taube auf dem Dach“ entschieden. Auch Rektor Scheuermann hätte gerne eine bestimmte Mathematiklehrerin eingestellt. „Die ist schon woanders untergekommen“, berichtet der Leiter der Kaufmännischen Schule 1.

Eine Folge der Schulreform?

Beim Regierungspräsidium heißt es, man verstehe die Nöte der Schulleiter der 22 beruflichen Schulen in Stuttgart. „Die Schulen haben in diesem Jahr eine viel spätere Planungssicherheit“, räumt der Sprecher Clemens Homoth-Kuhs ein. Das sei unangenehm für die Schulen, ihre Schüler und Lehrer, aber „es ist unvermeidbar“, so Homoth-Kuhs.

Wegen der Umbrüche im Bildungssystem – darunter die Einführung der Gemeinschaftsschule und die Abschaffung der Grundschulempfehlung – wusste man lange nicht, wie sich die Schülerströme verhalten würden. Deshalb habe das Kultusministerium im Frühjahr nur sehr wenige Stellen frei gegeben. Schließlich könne man Lehrerstellen erst bewilligen, wenn der Bedarf klar sei, erklärt Homoth-Kuhs. Einen gewissen Preis müsse man für die Schulreform eben zahlen.