Ein Besuch bei der Verwandtschaft in Afrika, dem Nahen Osten oder einigen asiatischen Ländern kann für kleine Mädchen grausame Folge haben: Die Genital-Beschneidung in den Ferien ist eine echte Gefahr.

Berlin - Genitalverstümmelung bei Frauen? Für zwei junge Männer in Berlin war das kein Thema. „Da hab ich den Jungs Fotos gezeigt“, sagt Akivistin Isatou Barry. „Und dann haben die mir zugehört.“ Barry stammt aus Gambia in Westafrika. Seit mehr als zehn Jahren lebt sie in Berlin. In ihrer Hauptstadt-Community will sie verhindern, dass Landsleute ihre kleinen Töchter nach grausamer Tradition beschneiden lassen. „Das geschieht oft in den Sommerferien“, berichtet sie. „Eine Reise in die Heimat - und schon ist es passiert.“

 

Ferienbeschneidungen heißt dieses Phänomen. Das klingt fast harmlos. Beschneidung heißt aber, dass Mädchen je nach Methode Klitoris und Schamlippen teilweise oder vollständig herausgeschnitten werden. Manchmal wird die Vaginalöffnung danach noch fast zugenäht. Die archaische Praxis gibt es noch in rund 30 Ländern Afrikas, in Staaten des Nahen Ostens und in einigen asiatischen Ländern.

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Frauen-, Kinder- und Menschenrechtsorganisationen wie Terres des Femmes und Unicef engagieren sich seit Jahrzehnten gegen Genitalverstümmelung. Es gebe einen Rückgang, aber kein Ende, heißt es bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Weltweit seien noch immer rund 200 Millionen Frauen und Mädchen beschnitten. Und es geschehe weiter, selbst wenn die Beschneidung von Mädchen in vielen Ländern inzwischen offiziell verboten sei.

Betroffene Mädchen werden immer jünger

Migration nach Europa beende Genitalverstümmelung nicht, sagt Charlotte Weil, Referentin bei Terre des Femmes in Berlin. „Und die Mädchen werden immer jünger. Damit sie keine Hilfe suchen können. Und damit sie sich weniger erinnern.“ Viele seien heute bei der Beschneidung erst zwei Jahre alt oder jünger.

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Deutschland illegal und strafbar. Seit 2015 gilt das auch für Beschneidungen von Mädchen im Ausland. Genaue Zahlen hat Terre des Femmes nicht. „Menschen reden nicht freiwillig über Straftaten, für die sie hier ins Gefängnis kommen können“, sagt Weil. Terre des Femmes schätzt in einer Dunkelzifferstatistik wie groß das Problem sein könnte und geht von 65 000 Migrantinnen in Deutschland aus, die beschnitten sind. Und von 15 000 Mädchen, denen Genitalverstümmelung drohen könnte - obwohl sie hier leben.

Isatou Barry wirkt freundlich-resolut. Sie ist 41 Jahre alt und hat vier Kinder, drei Jungen und ein Mädchen. „In meiner Familie sind alle Frauen beschnitten“, sagt sie. „Aber meiner Tochter tue ich das nicht an.“ Barry will ihre Landsleute überzeugen, genauso zu entscheiden - in Berlin, aber auch in Gambia.

Auf die Überzeugungsarbeit in ihrer Berliner Community ist Barry vorbereitet. Sie absolvierte eine zweijährige Ausbildung zur „Change Trainerin“ bei Terre des Femmes. Dort hat sie Fakten über gesundheitliche und psychische Folgen von Genitalverstümmelung gelernt. Dazu kommt nun die Praxis als Multiplikatorin. „Nur, wenn wir die Männer einbeziehen, können wir diesen Wahnsinn stoppen“, sagt Barry heute.

Lebenslange Schmerze, tödliche Geburten

Wer ihr am Anfang nicht zuhören möchte, dem erzählt sie ihre persönliche Geschichte: Wie sie mit 30 nach Deutschland kam und auch dachte, Beschneidung sei normal und habe keine Nachteile. Und warum sie heute so anders darüber denkt: Weil kleine Mädchen dadurch sterben, Frauen lebenslang Schmerzen haben und Mütter wie Babys eine Geburt manchmal nicht überleben. Oft überzeuge das, sagt sie. „Ich weiß, wovon ich rede.“

Dass Barrys Berichte keine Horrormärchen sind, wissen auch Ärzte in Deutschland. „Beschneidungen von Mädchen, die in Deutschland geboren wurden und hier leben, können wir nicht ausschließen. Es gibt das“, sagt Hermann Josef Kahl, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Würden Kinderärzte dann auch zur Polizei gehen? „Anzeigen erstellen wir nicht gerne. Aber wir können Kontakt zu Frühen Hilfen und der Jugendhilfe herstellen“, sagt Kahl. Ziel sei dann, dass jüngere Schwestern nicht mehr beschnitten würden.

Im Berliner Krankenhaus Waldfriede sieht Cornelia Strunz die Folgen weiblicher Genitalverstümmelung fast jeden Tag. Die Chirurgin leitet das Desert Flower Center, das mit der Stiftung von Waris Dirie verbunden ist. Das bekannte Model aus Somalia machte 1998 mit ihrer Biografie „Wüstenblume“ (Desert Flower) die eigene Beschneidung zum Thema und engagiert sich weltweit gegen die grausame Tradition.

Beschneidung auch gegen den Willen der Eltern

„Ich glaube, dass viele Ärzte in Deutschland mit diesem Thema vollkommen überfordert sind“, sagt Strunz. Komplikationen, die durch die Beschneidungen auftreten könnten, seien nicht immer bekannt - weder den Frauen selbst, noch Medizinern hier. „In Zeiten von Migration müsste die deutsche Gesellschaft aber viel mehr den Blick darauf lenken“, fordert Strunz.

Selbst wenn Eltern aus Deutschland mit kleinen Töchtern in die Heimat reisten und keine Beschneidung wollten, nutze das wenig, berichtet Isatou Barry. „Die Familie macht das dann, wenn die Eltern mal nicht da sind“, sagt sie. „Oder es macht die Nachbarin. Weil sie denkt, das sei gut für Mutter und Kind.“

Bei Terre des Femmes bestätigt Charlotte Weil, wie schwer der soziale Druck auf Frauen lastet. „Genitalverstümmelung ist in diesen Ländern die soziale Norm. Alles andere bedeutet Ausschluss und Isolation - auch für Kinder“, sagt sie. Für Weil hat die grausame Praxis, die es vermutlich seit mehreren tausend Jahren gibt, nichts mit bestimmten Religionen zu tun. Sie werde längst nicht nur im Islam praktiziert. Im Kern gehe es um Unterdrückung und Kontrolle weiblicher Sexualität, sagt sie.