Bei der Morgenlage im Bendlerblock im Verteidigungsministerium lässt Ursula von der Leyen ihre engsten Mitarbeiter um den Tisch stehen. Dabei sind die Sitzmöbel eh unverwüstlich.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Macht und Ohnmacht liegen, wie schon der Volksmund weiß, bisweilen nah beieinander. Im Bendlerblock weiß man das mit Sicherheit besser als in den anderen Schaltzentralen der Republik. Das liegt nicht nur daran, dass die dort dienenden Soldaten vom einfachen Rekruten bis zum Viersternegeneral in der eigenen Karriere recht regelmäßig die zwiespältige Erfahrung machen, dass Befehl und Gehorsam auch nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind.

 

Noch wichtiger ist, dass der Hausherr und Inhaber der Befehlsgewalt mit Insignien der Macht besser ausgestattet ist als jeder andere Repräsentant der Republik: Sein Kommando lässt nicht nur das Wachbataillon strammstehen; seine Musiksoldaten blasen sämtlichen Staatsgästen in Berlin den Marsch – beziehungsweise die Hymnen. Sein Befehl setzt Panzertruppen, Alarmrotten und die Flugbereitschaft der Luftwaffe in Bewegung. Artig – und ganz im Dienst der bundesrepublikanischen Ordnung – stellt er (auch wenn er, wie zurzeit, eine Sie ist) seine Truppen dem Kanzler oder dem Bundespräsidenten zur Verfügung, wann immer diese Soldaten zu Repräsentationszwecken bedürfen.

18 Stühle mit Alcantara-Bezug

Verteidigungsminister wissen, dass Macht in der Demokratie beschränkt und nur auf Zeit verliehen ist. Dass auch Ursula von der Leyen von dieser Regel keine Ausnahme macht, liegt neben all den bereits genannten Randbedingungen ihrer verteidigungspolitischen Existenz auch am Lachsraum. Der heißt so, weil der ansonsten ganz und gar schlichte Konferenzraum vom Format eines großzügigen Wohnzimmers mit 18 in lachsfarbenem Alcantara bezogenen und ansonsten äußerst solide wirkenden Stahlrohrstühlen ausgestattet ist. Diese Einrichtung wird in zig Jahren noch als Provokation gelten, weil unter Soldaten schon das Blau der Luftwaffenuniformen als geradezu frivoler Farbtupfer gilt.

Als Farbton zählt Lachs eindeutig zur weich-weiblichen Rosé-Nude-Apricot-Familie. Deshalb kann man die Entscheidung, den Besprechungsraum A02 R206 im Ministertrakt des härtesten Ressorts der Bundesregierung so einzurichten, bestenfalls als epochal mutigen Stilbruch einstufen. Dort werden schließlich nicht kuschelige Themen wie Krippenplätze, Bildungschancen oder Wärmestuben für Obdachlose verhandelt. Dort bespricht Ursula von der Leyen in der morgendlichen Konferenz die stets komplizierten Weltläufte und die meist auch nicht einfache Presselage.

Das Mobiliar stammt noch von Rudolf Scharping

Als „Ort der Macht“ verdient dieser Konferenzraum eingestuft werden, weil Ursula von der Leyen ihre sechs bis zehn Spitzenbeamten in der Morgenlage stets stehen lässt. Seit sie das Sagen hat, ist Sitzen dabei nicht mehr erlaubt. So komme keiner „ins Labern“, lobt einer, der nicht selten mit um den ovalen Tisch mit den auffälligen Stühlen herumsteht. Dass mancher sich mindestens manchmal auch gerne setzen würde, weil Muskelkater, Müdigkeit oder sonstige Zipperlein sich bemerkbar machen, darf man unterstellen. Dennoch kann sich Ursula von der Leyen angesichts der stehenden Damen und Herren hinter den lachsfarbenen Stühlen nicht nur ihrer Macht, sondern sie muss sich auch ihrer Ohnmacht bewusst sein.

Denn erstens hat ihr Vorvorvorvorgänger Rudolf Scharping ihr die auffälligen Sitzmöbel eingebrockt. Zweitens würde der Rechnungshof ihr den Kampf ansagen, wenn sie die Stühle aus Geschmacksgründen neu beziehen oder ausmustern würde. Drittens muss sie damit rechnen, dass ihre Nachfolger den ach so weiblichen Farbtupfer im Ministertrakt ihr andichten. Sie ist schließlich die erste Frau in dem Amt. Und der Durchschlagskraft solcher Geschlechterstereotypen steht selbst eine so machtbewusste Frau wie von der Leyen machtlos vis-à-vis.