Wo ist das bessere Leben? Spricht man mit afrikanischen Zuwanderern, die nach Deutschland gekommen sind, fällt die Antwort zwiespältig aus.

Stuttgart - Ein schmuckes, gebrauchtes Auto, einen Job als Lagerarbeiter, eine ruhige Mietwohnung mit Balkon im Ortskern einer Kleinstadt in der Region Stuttgart: Der 34-jährige Simon Okello (Name geändert) hat es geschafft, könnte man sagen. Vor fünf Jahren kam er aus Kenia auf legalem Weg als Single nach Deutschland, heute ist er Familienvater und strahlt: der Führerschein und das Auto runden sein Lebensglück ab. Lebensglück?

 

Wenn Afrikaner nach Europa auswandern, heißt es stereotyp, sie täten das, um ein besseres Leben zu finden. Aber wo sind Licht und Schatten? Ist das Leben hier wirklich qualitätvoller, zählt nur materieller Wohlstand? Okello überlegt nicht lange: „Die Arbeitschancen sind hier wesentlich besser“, sagt er. In Kenia hatte er einen guten Schulabschluss und machte einen kaufmännischen Abschluss, schlug sich aber als Handyverkäufer in Shopping-Malls durch, ein schlecht bezahlter, stets gefährdeter Job. In Deutschland verdient er als Ungelernter ein Vielfaches, strebt erneut eine Ausbildung an. Es gefalle ihm hier „die Zuverlässigkeit“ in allen Lebensbereichen, die Verlässlichkeit und Pünktlichkeit, sagt Okello: am Arbeitsplatz, im Verkehrs- und Gesundheitswesen, bei der Verwaltung.

Sogar die Lebensmittelpreise – man glaubt es kaum – seien niedriger als in Kenia, wo ein Pfund Zucker das Doppelte koste wie hier, ein Huhn das Dreifache. Auch die gute Sicherheit sei ein Pluspunkt.

Aber damit endet die Lobeshymne. Auch Afrika hat seine Vorzüge. Natürlich das gute Wetter, die frischen Früchte, sagt Okello, aber entscheidender: „Man lebt wie in einer großen Familie, man tut viel mehr in der Gemeinschaft.“ Freitags nach der Arbeit sei das Ausgehen mit Freunden oder Verwandten selbstverständlich. Besuche am Abend, am Wochenende oder werktags am Arbeitsplatz – unangemeldet – seien Normalität: „Besuche empfinden wir als Segen.“ Bis zum 23. Lebensjahr hat Okello auf dem Land gelebt, wo jeder hart arbeiten müsse, um zu überleben. „Die Leute haben wenig Geld, aber sie sind glücklich mit ihrem kleinen Leben.“ Familiäre und nachbarschaftliche Bindungen seien elementar, man nehme sich Zeit und könne auch nachts um 22 Uhr beim Nachbarn klopfen, um sich beispielsweise Salz zu borgen. Diese soziale Nähe vermisst Okello. Er meldet sich hier für Besuche telefonisch an, wenn er sich überhaupt dazu aufrafft. „Ich arbeite samstags bis 12 Uhr, dann Einkaufen, Haushalt, dann bin ich erledigt.“

Wo das bessere Leben sei – Okello hat keine klare Antwort darauf. Im Alter würde er gerne nach Afrika zurück, er plant, dort ein Haus zu bauen. Der Migrationsexperte Bernd Mesovic aus Frankfurt sagt, dass die „getaktete Zeit, das durchgeplante Leben“ vielen Zuwanderern zu schaffen mache. Wer aus einer Gesellschaft mit „großfamiliären Strukturen“ komme – die gibt es auch in Südeuropa und Südamerika – stoße hier auf eine Gesellschaft der Kleinfamilien. Die Türen sind zu statt offen.

Das deutsche Gesundheitssystem ist ein großer Pluspunkt

Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl weisen daraufhin, dass das Leben von Migranten stark vom Aufenthaltsstatus abhänge: die Residenzpflicht für Asylbewerber und die Ernährung über Essenspakete wie in Bayern sei belastend. Hinzu komme die Angst vor Übergriffen in manchen Regionen – allen voran Ostdeutschland. Der kenianische Informatiker Peter Okech (45) wohnt seit zehn Monaten für ein Postgraduiertenstudium in Dresden. Er habe in der Zeit keine ausländerfeindlichen Erfahrungen gemacht, sagt Okech. Es gebe Stadtviertel, von denen er sich bewusst fernhalte: „Das mache ich in Nairobi auch, da laufe ich nicht einfach in den Dandoora-Slum.“ Okech beschreibt das Leben in Dresden als „organisiert und strukturiert“. Ja, es sei „super“, er genieße die Zeit an der Uni, sagt er. Andererseits vermisse er Frau und Kinder und habe festgestellt, dass die Deutschen „nicht besonders offen seien“, eine Erfahrung, die auch an seiner fehlenden Deutschkenntnis liegen könnte. An der Uni wird Englisch gesprochen. In Nairobi, sagt Okech, könne er in eine Bar gehen und mit jedermann ins Gespräch kommen. Mit seiner sechsköpfigen Familie, sagt Okech, wäre ein Leben für ihn in Deutschland viel zu teuer. Nächste Woche fliegt er zurück.

Allein die Statistik verrät einiges. Wie intensiv das Leben auch sein mag, es dauert hier länger. In Deutschland liegt die Lebenserwartung bei 80 Jahren, in Kenia bei 63 Jahren. Dass diese Kluft an der Güte der Gesundheitssysteme liegt, gilt als plausibel. Für sie sei die soziale Absicherung, der Versicherungsschutz und das Gesundheitssystem hier herausragend, sagt Eva Makau (33), Altenpflegerin und Mutter eines Kindes, die vor zwölf Jahren aus Kenia nach Stuttgart zog. Dass im Notfall ein Arzt rasch an Ort und Stelle sei, das sei vorbildlich. Ein negatives Schlüsselerlebnis für sie war, als in ihrer Heimat bei Kilifi eine Verwandte zur Entbindung in eine Klinik musste. Wegen der schlechten Straße verzögerte sich der Transport, das Kind starb wegen einer Komplikation. „Das war furchtbar.“

Man lebe gut in Deutschland, sagt Eva Makau, mit einem ordentlichen Job und Geld könne man das in Kenia aber auch: „Eine Freundin von mir ist Geschäftsfrau in Kenia – sie lebt besser als ich.“