Seit einigen Tagen sind drei Ärztinnen aus der ukrainischen Stadt Poltawa in Stuttgart und dem Kreis Esslingen zu Gast. Bei einem Besuch im Hospiz in Stuttgart-Degerloch wurde deutlich, was bei den Medizinerinnen in der Ukraine ganz anders ist.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Filder - Ein Hospiz haben die drei Ärztinnen in Poltawa nicht. Wenn bei ihnen, in der 300 000 Einwohner zählenden Stadt in der Zentralukraine, ein Mensch kurz vor dem Ende seines Lebens steht, wird er entweder von Angehörigen zu Hause, in Altenheimen oder in sogenannten Invalidenhäusern gepflegt. „Außerdem gibt es Tageskliniken für die Männer, die aus dem Krieg kommen und sich enorme psychische und körperliche Beeinträchtigungen zugezogen haben“, berichtet Tetiana Muntian, eine der Ärztinnen aus Poltawa. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen war sie in der vergangenen Woche auf der Filderebene und Umgebung zu Gast. Sie waren zum Beispiel im Hospiz in Degerloch, bei der ebenfalls in Degerloch ansässigen Bezirksärztekammer Nordwürttemberg, in der Hausarztpraxis Huber in Echterdingen und im Zentrum für ambulante Rehabilitation in Tübingen.

 

In Ukraine hat kaum jemand eine Krankenversicherung

Bereits seit einigen Jahren kommen einmal im Jahr Ärzte aus Poltawa auf die Filder. Die drei Kreisstädte Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt und Ostfildern sind seit 1988 Partnerstädte von Poltawa. „In den ersten Jahren haben die Ärzte, die uns besucht haben, noch ganz allgemeine Fragen gestellt. Mittlerweile wissen die Besucher ziemlich gut Bescheid und stellen sehr detaillierte Fragen“, berichtet Alena Trenina. Die Mitarbeiterin des Kulturreferats von L.-E. hat in den vergangenen Tagen als Dolmetscherin fungiert, sie spricht die ukrainische Sprache.

„Bei dem Besuch in der Hausarztpraxis Huber haben die Frauen zwei Stunden lang Fragen gestellt – irgendwann hatte ich einen ganz trockenen Mund vom Übersetzen“, sagt Trenina und lacht. „Die Ärztinnen hat vor allem interessiert, wie eine Praxis in Deutschland wirtschaftlich funktioniert. Das ist für sie spannend, weil sie manche Konzepte möglicherweise für ihre Praxen in der Ukraine übernehmen können.“ In der Ukraine haben nur die wenigsten Menschen eine Krankenversicherung, das Gesundheitssystem ist komplett verstaatlicht – was in der Praxis nicht immer funktioniert. Außerdem sei für die Frauen interessant gewesen, wie die Mediziner in Deutschland organisiert sind. „Sie wollten zum Beispiel wissen, ob sich eine Mutter in Deutschland krankschreiben lassen darf, wenn ihr Kind krank ist oder wie man mit Kunstfehlern umgeht.“

150 Ehrenamtliche arbeiten für das Hospiz

Bei dem Besuch im Hospiz Sankt Martin hat die drei ukrainischen Ärztinnen vor allem der Alltag dort interessiert: Sind rund um die Uhr Ärzte da? Wie viele Menschen sind im Hospiz zu Gast? Welche Rolle spielen Ehrenamtliche? Juliane Löffler, die stellvertretende Leiterin der Lebens- und Sterbebegleitung im Hospiz, kann Antworten geben: „Wir haben acht Zimmer im Hospiz, die tatsächlich immer belegt sind. Die Menschen werden begleitet von medizinisch-pflegerischen Fachkräften, die eine Zusatzausbildung im palliativen Bereich haben. Außerdem arbeiten drei Palliativärzte für uns, die aber nur dann kommen, wenn sie gerufen werden. Es leben außerdem zwei Ordensschwestern mit uns und jeden Mittwoch kommt ein Seelsorger. Und es gibt rund 150 Ehrenamtliche.“

Allerdings ist der stationäre Bereich nur ein kleiner Teil im Hospiz. Ein großer Teil der Arbeit besteht in der ambulanten Lebe- und Sterbebegleitung. Ehrenamtliche mit entsprechender Ausbildung kommen zu den Menschen nach Hause, in die Pflegeheime oder Krankenhäuser und leisten Beistand. Zudem gibt es einen Trauerbereich mit 17 Trauergruppen und individueller Begleitung. „Wir wollen die Trauer nicht wegdrücken, sondern sie soll gelebt werden“, erläutert Löffler. Die drei Ärztinnen aus der Ukraine sind spürbar begeistert von dem Konzept des Hospizes: „Das ist eine wichtige Arbeit. Ich hoffe, dass dies entsprechend wertgeschätzt wird“, sagt Tetiana Muntian. Juliane Löffler gibt zu, dass das nicht immer so war: „Tod und Trauer sind nach wie vor Tabuthemen, aber wir werden zunehmend mehr geschätzt.“