Beim Friseur kommt billig weg, wer selbst föhnt und ohne Termin auskommt. Ein Selbstversuch. Die Internet-Kritiken zum ausgewählten Friseursalon einer Billigkette lassen nichts Gutes vermuten.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Spitzenschneiden dauert länger als ein Spielfilm. Um kurz nach 12 Uhr habe ich wie beim Amt eine Nummer gezogen: die 68. Die Anzeige an der Wand des Friseurs zeigt „58“. Bis ich wieder gehe, werden zwei Stunden verstreichen. Ich suche mir einen freien Klappstuhl in der Wartereihe hinter dem Schaufenster, fische nach meinem Smartphone und nutze die Zeit, um herauszufinden, wo genau ich hier bin. Das Internet hilft weiter.

 

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst

Ich sitze bei einer Billigkette. „Nicht nur der Preis ist billig“, ist ein Kommentar auf www.hairweb.de. Oder „Finger weg“ und „schlechte Laune wegen Arbeitsbedingungen“. In Zeitungsberichten steht, dass die Mitarbeiter einen täglichen Mindestumsatz von 220 Euro in die Kasse schneiden müssen, ansonsten drohe die Kündigung. Pausenzeiten würden unterschritten, der Tarif nicht gezahlt. Von der Kette ist dazu auf Nachfrage nichts zu erfahren, die Geschäftsführung will sich nicht äußern.

Es ist Montag. Ein ungewöhnlicher Tag für einen Haarschnitt. Montags hat das Gros an Friseuren seit Menschengedenken zu. Nicht dieser in Degerloch. Hier ist eh alles etwas anders. Geschnitten wird montags bis samstags von 9 bis 20 Uhr. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Waschen und Schneiden macht 13 Euro. Trocknen kostet extra, es sei denn der Kunde föhnt selbst.

Ein paar Straßen weiter sitzt der Friseurmeister Frank Leser auf einem seiner Drehstühle. Fürs Spitzenschneiden nimmt er zum Beispiel das Dreifache vom Billigpreis. Der 50-Jährige kalkuliert für eine Dame eine Stunde. Hat sich ein neuer Kunde angemeldet, kommt eine Viertelstunde obendrauf – fürs Kennenlernen. Föhnen gehört zum Service wie eine Tasse Kaffee. Das habe seinen Preis, sagt Frank Leser.

Matthias Moser sieht das ebenso. Er ist Geschäftsführer des Fachverbands

Der Ruf der Friseure ist nicht der beste

Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg. Dass Discounter für 13 Euro Haare schneiden, sei nur die halbe Wahrheit. „Die Risiken des Betriebs werden auf die Mitarbeiter abgewälzt.“ So sei es teils üblich, im Arbeitsvertrag einen Mindestumsatz zu fordern. „Die Mitarbeiter stehen unter Druck.“ Derzeit wird an einem bundesweiten Tarifvertrag getüftelt. Moser schätzt, dass er im November in Kraft tritt. Der Tarif sieht vor, dass Friseure ab 2014 in der Stunde mindestens acht Euro, ab 2015 mindestens 8,50 Euro verdienen. In Baden-Württemberg gilt bereits Tarif. Wer keinen Mindestlohn zahlt, „macht sich strafbar“, sagt Moser.

In Deutschland gibt es rund 80 000 Friseure. Ein Drittel sind Ein-Mann-Betriebe, und jeder Zehnte soll ein Billigheimer sein. Das Handwerk gehört zu den beliebtesten Ausbildungsberufen, 90 Prozent der Lehrlinge sind Frauen. Sie lockt vermutlich der Ruf der großen weiten Modewelt. Der Andrang ist erstaunlich, ist doch der Ruf der Friseure nicht der beste. Die schneidende Zunft dient als Paradebeispiel bei Gehaltsvergleichen – fürs unterste Ende der Skala.

Der Degerlocher Friseur Frank Leser hat damals, als er die Lehre begann, nicht aufs Geld geschaut. „Ich wollte was Handwerkliches im Kreativbereich machen.“ Klar war für ihn, dass er den Meister macht. In seinem Salon ist er sein eigener Herr. Er genießt es, seine Kunden beim Namen zu kennen, dass er ein bisschen zu ihrem Leben dazugehört. Beim Discounter sei das anders, „das ist eher Laufkundschaft“.

Als würde man im Restaurant den Teller selbst zurückbringen

Beim Billigfriseur trifft sich jeder. In der Wartereihe hinter der Schaufensterscheibe sitzen Rentnerinnen neben jungen Frauen und Studenten – bis ihre Nummer aufgerufen wird. Andere kommen in den Laden, sagen hallo, ziehen sich eine Nummer und verschwinden wieder. Sie warten lieber an der Degerlocher Einkaufsmeile. Strategie hilft hier. So ist zu hören, dass sich morgens mitunter eine Schlange vor dem Friseurgeschäft bildet, noch bevor es öffnet.

Nach 90 Minuten des Ausharrens ist die Nummer 68 an der Reihe, also ich. Die Friseurin ist freundlich. Während sie meine Haare wäscht, fragt sie, ob sie eine Kur verwenden darf. Ich sage Nein, mein Ziel ist es, dass billig wirklich billig bleibt. Und Pflegemittel kosten extra, steht auf der Preisliste. Deshalb föhne ich nach dem Haarschnitt auch selbst. Wobei ich zugeben muss, dass ich mir dabei seltsam vorkomme. Als würde ich ins Restaurant gehen und hinterher meinen Teller selbst in die Küche bringen – um ja günstiger wegzukommen. Weil ich mir an der Kasse dann noch schäbiger vorkomme, gebe ich der Friseurin etwas Trinkgeld obendrauf. Sie lässt die Münzen in ein Sparschwein plumpsen.

Als ich abends vor dem Spiegel stehe, sehe ich den Preis, den ich bezahlt habe: Meine Haare sind fransig. Der Termin bei meinem Stammfriseur ist schon gemacht.