Wegen einer Zwangsräumung sind die Jasenskis obdachlos geworden. Nun leben sie in einer Notunterkunft der Stadt – und suchen wieder eine Wohnung.

Sindelfingen - Die 56-Jährige kann sich kaum an ihrer Krücke halten. Miroslava Jasenski hat sich wegen einer starken Skoliose einer

 

Wirbelsäulen-Operation unterziehen müssen. „Ich habe 24 Metallstücke in meinem Rücken“, sagt die Frau, die nun zu 60 Prozent schwerbehindert ist. Im November dieses Jahres wurden sie und ihr Sohn per Zwangsräumung aus ihrer Wohnung geworfen, weil sie zwei Monatsmieten im Rückstand gewesen sei, sagt die gebürtige Danzigerin, die seit 31 Jahren in Sindelfingen lebt. Nun hat sie in der Küblerstraße in einem städtischen Gebäude ein Obdach erhalten, eine Zweizimmerwohnung, die sie mit ihrem 30 Jahre alten Sohn teilt. „Die Wohnung ist ruhig gelegen und hell“, tröstet sich die 56-Jährige und hat Tränen in den Augen.

Die jetzige Bleibe hat 24 Quadratmeter

Das Obdachlosenheim in der Innenstadt ist zurzeit fast voll belegt. Im ersten Stockwerk und im Dachgeschoss wohnen sieben alleinstehende junge Männer. „Ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett und ein Waschbecken müssen genügen“, sagt die städtische Sozialarbeiterin Andrea Kienzle. Im Parterre leben zwei Familien. Eine ausländische und die Jasenskis – oder das, was von ihnen übrig geblieben ist. Vor sechs Jahren zog Miroslava Jasenski einen Schlussstrich: „Mein Mann hat getrunken. Ich bin von ihm weggegangen.“ Ihr älterer Sohn, Bogumil, der nun 35 Jahre alt ist, zog aus der elterlichen Wohnung aus, die immerhin 86 Quadratmeter Wohnfläche hatte. Die jetzige Bleibe mit einer Küchenzeile hat 24 Quadratmeter. „Ich hätte es mir schlimmer vorgestellt“, sagt die 56-Jährige.

Als die Zwangsräumung anstand, habe sie im Rathaus angerufen, und man habe ihr sofort geholfen. 70 Obdachlose beherbergt die Stadt momentan, die in neun Häusern zusammen mit 85 Asylbewerbern untergebracht seien, deren Verfahren schon länger als zwei Jahre dauerten, sagt der Sindelfinger Sozialamtsleiter Hans-Georg Burr. Einer von ihnen ist Ali Hussein Olfat, der ebenfalls in der Küblerstraße wohnt. Der 46-jähriger Iraker ist wegen des Krieges aus seinem Heimatland geflüchtet. Er lebt alleine. „Meine Frau hat mich wegen einem anderen verlassen“, sagt Olfat, der dennoch einen lebenslustigen Eindruck macht. Natürlich wünsche er sich nichts sehnlicher als eine Freundin, meint der 46-Jährige, der am Silvesterabend nach Stuttgart fahren und mit einem Freund auf dem Schlossplatz Böller krachen lassen möchte.

Die Jasenskis suchen wieder eine Wohnung

Und die Jasenskis? „Ich bin froh, wenn ich meine Teller und Töpfe wieder habe, damit ich etwas kochen kann“, sagt die 56-Jährige. In den Wirren der Zwangsräumung sei ihr vieles abhanden gekommen, berichtet Miroslava Jasenski, manches sei in irgendwelchen Kartons einfach verschwunden. Manche Möbel seien auch kaputt gegangen, die Räumungsfirma sei nicht gerade zimperlich mit ihrer Habe umgegangen. Immer wieder suchen ihre Söhne das Lager auf, in das die Sachen vorübergehend hingekommen sind, und sorgen dafür, dass die jetzige Notunterkunft einigermaßen eingerichtet ist. Doch für vieles ist nun einfach kein Platz. „Das können wir hoffentlich wieder in unserer künftigen Wohnung verwenden“, sagt Miroslava Jasenski. Denn sie will nicht lange in der Küblerstraße bleiben.

„Mein größter Wunsch für nächstes Jahr ist, dass ich meine Katzen wieder habe, die jetzt bei Bekannten untergebracht werden mussten.“ Weil Haustiere im Obdachlosenasyl nicht erlaubt sind. „Tina und Baby heißen die beiden. Ich habe Sehnsucht nach ihnen“, sagt die Frau, die von insgesamt 478 Euro im Monat lebt. Von ihrer Frührente und der Grundsicherung vom Landratsamt. Ihr 30 Jahre alter Sohn ist zurzeit arbeitslos. Der Tagelöhner ohne Ausbildung jobbt zumeist auf dem Bau. „Jetzt im Winter habe ich keine Arbeit“, sagt Sebastian Jasenski., „in manchen Monaten komme ich aber auf 1200 bis 1600 Euro netto.“ Das Geld habe dennoch nicht gereicht, um die Miete der einstigen 86-Quadratmeter-Wohnung zu bezahlen, die 561 Euro betragen habe.

Miroslava Jasenski kann noch lachen

Ähnlich wie den Jasenskis erging es 33 anderen Mietern in Sindelfingen, die ihre Wohnungen in diesem Jahr zwangsweise aufgeben mussten. Erfreulich sei jedoch, dass die Zahl der Obdachlosen in den vergangenen Jahren stagniere, bilanziert der Sozialamtsleiter. Und zudem gelinge es der Sozialarbeiterin Kienzle und ihrer Kollegin, die ebenfalls eine 50-Prozent-Stelle habe, zehn bis 15 Obdachlosen wieder zum Sprung ins normale Leben zu verhelfen. „Nur in Ausnahmefällen haben wir Menschen, die länger als drei bis vier Jahre in den Notunterkünften leben“, sagt Burr.

Halt findet Miroslava Jasenski bei ihren Söhnen. Sie sind ihr ganzer Stolz. Trotz alledem. Sie erinnern sie an bessere Zeiten, als sie knapp zwei und knapp sechs Jahre alt waren. Sie hütet das Foto wie einen Schatz und hat es aufgehängt. „Nicht alles war früher schlecht, aber ich denke jetzt vor allem wieder an die Zukunft“, sagt sie – und kann dabei sogar lachen.