Ein Rentner muss hart dafür büßen, dass er einem Finanzprofi allzu sehr vertraut hat. Die Ersparnisse sind weg.

Stuttgart - Der Rentner Johann W. ist sein Geld los, seine Klage gegen den Stuttgarter Wüstenrot-Konzern wurde abgewiesen. Zum Verhängnis ist dem 82-Jährigen aus der Nähe von München geworden, dass er sich in Geldangelegenheiten nicht auskennt und in den achtziger Jahren die Bekanntschaft des Wüstenrot-Vertreters Wolfgang M. gemacht hat. Dass der Vertreter den Sparer um mehrere 100 000 Euro erleichtert hat, ist klar; er hat es selbst eingeräumt. Nach Ansicht des Gerichts ist Johann W. einem Betrüger aufgesessen – und hat damit Pech gehabt: Wüstenrot muss für die Verfehlungen seines früheren Außendienstlers nicht zahlen.

 

Der Berater Wolfgang M. haute den vertrauensseligen Sparer bei Geldanlagen übers Ohr. Um wie viel Geld genau es geht, konnte in dem Verfahren vor der Neunten Zivilkammer des Landgerichts München II, das sich über mehrere Jahre hingezogen hat, nicht genau geklärt werden, da Kontoauszüge fehlen. Im Mai 2010 kam die interne Revision dem Finanzprofi auf die Spur; die Betrügereien des 63-Jährigen bei Bausparverträgen und Festgeldanlagen flogen auf. Er verlor seine Arbeit, wurde wegen Betrugs angeklagt und zu einer Freiheitsstrafe von knapp drei Jahren verurteilt. Die Ersparnisse von Johann W. waren freilich verloren, denn der Vertreter erklärte sich für zahlungsunfähig.

Eigentlich ist die Haftung klar geregelt

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Wüstenrot deuten zunächst einmal darauf hin, dass in so einem Fall der Finanzkonzern für seinen kriminell gewordenen Vertreter geradesteht. „Die Bank haftet bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen für jedes Verschulden ihrer Mitarbeiter und der Personen, die sie zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen hinzuzieht.“ Die Haftung für den sogenannten Erfüllungsgehilfen entspricht der Vorschrift des Paragrafen 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Juristen sind sich einig darüber, dass dies auch in Fällen gilt, in denen der Außendienstler entgegen den Weisungen seines Unternehmens handelt. Trotzdem mag sich Wüstenrot im Fall des Rentners Johann W. die Handlungen seines Vertreters Wolfgang M. nicht zurechnen lassen. Etwas verklausuliert heißt es in der Antwort der Muttergesellschaft Wüstenrot & Württembergische (W&W) auf die Anfrage der Stuttgarter Zeitung: „Im vorliegenden Fall greifen . . . Haftungsfragen jedoch nicht, da es sich hier vor allem um Fragen der Bevollmächtigung handelt.“

Schon im Prozess ist Wüstenrot zum Gegenangriff übergegangen und hat die Rolle des Vertreters einfach umgedreht: vom Erfüllungsgehilfen des Unternehmens zum Erfüllungsgehilfen des Kunden. Wolfgang W. war kein Wüstenrot-Angestellter, sondern freier Handelsvertreter, für den der Konzern nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs freilich auch haftet.

Ein handgeschriebener Zettel aus dem Jahr 1989 ist die Basis

Der Vorwurf von Wüstenrot: Johann W. habe den selbstständigen Vertreter beauftragt und ihn ermächtigt, seine gesamten Kontounterlagen und entsprechende Korrespondenz in Empfang zu nehmen – mit der Folge, dass sich der Finanzmann ungestört auf den Konten des Klägers bedient hat. Für Kontoverfügungen habe er aber keine Vollmacht erteilt, sagt der Rentner, was die Gegenseite wiederum bestreitet. Nicht jede einzelne Bankbuchung konnte aufgeklärt werden, aber für die Sicht des Geschädigten spricht, dass im Verlauf der Gerichtsverhandlung keine pauschalen Kontovollmachten, Abbuchungsaufträge oder Ermächtigungen zum Lastschrifteinzug aufgetaucht sind.

Niemand hat dem Berater auf die Finger geschaut

Die Wüstenrot-Juristen nahmen vor allem die Kontoauszüge ins Visier: „Völlig unstreitig“ habe der Kläger den Finanzkonzern angewiesen, sämtliche Kontoauszüge an den Vertreter zu schicken; im Verlauf des Prozesses bezeichneten sie den Außendienstler als „den Bevollmächtigten“ des Kunden. Was aufgetaucht ist, ist ein handschriftlich von Wolfgang M. beschriebener Zettel aus dem Jahr 1989, den Johann W. unterschrieben hat. Darauf steht lediglich eine Zahlenkombination und ein Satz: „Kto.-Auszüge bitte über Hauspost versenden. Danke“.

Dem Kunden hat der finanzielle Überblick gefehlt

Wer den Ärger hat, muss für den Spott nicht sorgen. O-Ton der Wüstenrot-Anwälte: „Es kann nicht sein, dass der Kläger einen Dritten mit der Führung seiner Bankkorrespondenz beauftragt und ihn über zwei Jahrzehnte unbeanstandet handeln lässt und dann am Ende, wenn er sich in seinem Vertrauen enttäuscht sieht, dies dem Kreditinstitut anlasten und nichts von alledem, mit dem er die dritte Person bevollmächtigt hat, gegen sich gelten lassen will.“ Dem Rentner ging es nach eigener Aussage vor Gericht nur darum, sein Geld bei einer renommierten Finanzadresse sicher anzulegen; er habe Wolfgang M. nicht zu seinem persönlichen Vertrauten gemacht.

Dass Johann W. keinerlei Überblick über seine nicht unerheblichen Geschäfte hatte, ist offensichtlich. Auch das Fehlen von Kontoauszügen hat ihn lange nicht beunruhigt, da er bei Wüstenrot nur Ersparnisse anlegen wollte und den sonstigen Geldverkehr über eine andere Bank abwickelte. Eine Erklärung für dieses Verhalten haben seine Anwälte dem Gericht dargelegt: „Wir vertreten in diesem Verfahren einen zumindest schreib- und leseschwachen alten Mann ohne Schulabschluss, der durch doloses Handeln . . . erheblich zu Schaden gekommen ist.“

Wüstenrot ist sich keiner Schuld bewusst

Trotz der Niederlage vor Gericht wollen Johann W. und sein Bruder, der ihm in der Sache hilft, nicht klein beigeben. Sie geben organisatorischen Mängeln bei Wüstenrot die Schuld dafür, dass das Treiben des Handelsvertreters, dem schon vor Ort niemand auf die Finger geschaut habe, viele Jahre in der Konzernzentrale nicht auffiel. So wurden nach einer Auflistung der Klägerseite auf der Grundlage der „Postvollmacht“ aus dem Jahr 1989 mindestens achtmal die Zustelladressen geändert, wobei die Bankpost stets an den Außendienstler und nicht an den Kunden ging. Einmal brachte Wolfgang M. an seinem Haus sogar zusätzlich das Namensschild des Kunden an, um beim Postboten Irritationen zu vermeiden. Teilweise sollen mehrere Adressen parallel geführt worden sein. Dies streitet das Unternehmen ab.

Die Änderungen der Anschrift im Zeitablauf seien weit überwiegend auf den Kundenwunsch und auf Änderungen interner Bezeichnungen zurückzuführen, entgegnet Wüstenrot. „Insofern ist der Eindruck von häufigen, grundlegenden Änderungen bei der Zustelladresse nicht richtig“, heißt es. Wüstenrot habe bei den Adressänderungen sorgfältig gearbeitet.