Der SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid und der Esslinger Landrat Heinz Eininger haben zur Schaufel gegriffen und im Beurener Freilichtmuseum ein Stück heimischer Erde für ein Kunstprojekt im fernen Berlin abgefüllt.

Beuren - Ganz Berlin ist auf Sand gebaut. Das ist eine geologische Tatsache. Ein paar Kilogramm Pararendzina-Braunerde aus Weißjura-Hangschutt sind zu wenig, um den Sumpf der Hauptstadt trockenzulegen. Doch deswegen haben Nils Schmid, der Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordnete, und Heinz Eininger, der Esslinger CDU-Landrat, nicht zur Schaufel gegriffen. Der Sack Heimaterde, den die beiden Politiker in parteiübergreifendem Schulterschluss im Freilichtmuseum Beuren abgefüllt haben, ist nicht dazu da, die morschen Hauptstadtfundamente zu stabilisieren – die kleinräumigen Erdbewegungen auf der herbstfeuchten Beurener Obstwiese dienten allein der Kunst.

 

Braunerde für Berlin

Nils Schmid wird den Jutesack mit der Beurener Braunerde mit nach Berlin nehmen und ihn im Lichthof des Deutschen Reichstags ausleeren. Dort hat der Künstler Hans Haacke zur Eröffnung des Parlamentssitzes im Jahr 2000 ein Beet angelegt, verbunden mit der Bitte an die Bundestagsabgeordneten, aus ihrem jeweiligen Wahlkreis Heimaterde abzufüllen und sie in das von Holzbohlen eingegrenzte Karree zu kippen. In dessen Mitte ist, in Anlehnung an den am Giebel des Gebäudes prangenden Schriftzug „Dem deutschen Volke“, gut einsehbar und in gleicher Schrifttype, die Inschrift „Der Bevölkerung“ angebracht. „Das Beet soll verdeutlichen, dass die Abgeordneten des Bundestags der gesamten Bevölkerung verantwortlich sind“, sagt Nils Schmid.

Die feine Trennlinie zwischen Volk und Bevölkerung geht auf Berthold Brecht zurück. Der Dramatiker hat sie in seiner 1934 erschienenen Abhandlung „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“ so gezogen: „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik. Das Wort Volk besagt eine gewisse Einheitlichkeit und deutet auf gemeinsame Interessen hin, sollte also nur benutzt werden, wenn von mehreren Völkern die Rede ist, da höchstens dann eine Gemeinsamkeit der Interessen vorstellbar ist. Die Bevölkerung eines Landstriches hat verschiedene, auch entgegengesetzte Interessen, und dies ist eine Wahrheit, die unterdrückt wird.“

Die Kunst der Politik

Nicht alle Bundestagsabgeordneten wollten sich die Sache mit der unterdrückten Wahrheit ans Revers heften lassen. Entsprechend heftig war über Haackes Kunstwerk schon bei der Einweihung durch den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse im September 2000 gestritten worden. Und so haben vor Nils Schmid im Kreis Esslingen lediglich sein Vorgänger Rainer Arnold (SPD) und die Grünen-Abgeordnete Uschi Eid zum Spaten gegriffen. In der Auflistung der 370 Abgeordneten, die Heimaterde nach Berlin geschippt haben, fehlen nicht nur die Namen ihrer CDU-Kollegen, sondern auch der des Heimatministers Horst Seehofer (CSU).

Der Streit von damals war beim Ortstermin in Beuren kein Thema – eher schon die Frage, ob sich Erna, Fritz und Erkan ordentlich vermehrt haben. So heißen die Regenwürmer, die Rainer Arnold vor 18 Jahren in den Sack Fildererde gepackt hatte.

Den Schulterschluss von Kunst und Politik krönte Eininger mit einem Lehrbeispiel aus der Kunst der Politik. „Für mich ist das Beet ein Zeichen dafür, dass die, die im Bundestag arbeiten, gut geerdet sind“, sagte der Landrat, der sich von Amts wegen mit Land und Boden gut auskennen muss.