Immer mehr Menschen kommen in den Südwesten – die Politik in Land und Kommunen reagiert darauf oft zu zögerlich.

Stuttgart - In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Baden-Württemberg deutlich angestiegen: von 3,9 Millionen Arbeitnehmern im Jahr 2009 auf mehr als 4,7 Millionen im vergangenen Jahr. Seit 2014 liegt der Zuwachs bei mehr als 100 000 Jobs jährlich. Sollte der Südwesten weiter in dieser Weise zulegen, sagt der CDU-Politiker Winfried Mack, seien zwölf Millionen Einwohner am Ende des kommenden Jahrzehnts möglich. Gegenwärtig sind es elf Millionen, und für diese vielen Menschen wird es langsam eng in Baden-Württemberg. Es fehlen bezahlbare Wohnungen, Straßen sind verstopft, in den Städten ist der öffentliche Nahverkehr überlastet.

 

Die Politik reagierte nicht auf diese Entwicklung, jedenfalls nicht in einem hinreichenden Maße. CDU-Mann Mack, Fraktionsvize im Landtag, sagt: „Das Wachstum erhöht den Druck auf den Wohnungsmarkt, die Verkehrsinfrastruktur, die Kleinkindbetreuung und Pflege, den Arbeitsmarkt und auch auf die Ökologie.“ Konkret: Wo sollen die eine Million Menschen wohnen, die möglicherweise noch hinzukommen? Die Vordenker einer neuen Mobilität reden von der notwendigen Verdoppelung des öffentlichen Nahverkehrs. Aber wie soll das geschehen? Mack hält mehr strategische Planung für dringend geboten, etwa mit der Fortschreibung des Landesentwicklungsplans.

Neuer Landesentwicklungsplan

Vorarbeiten dazu sind im Wirtschaftsministerium bereits im Gang. In dieser Legislatur, so ist zu hören, wird die Novelle des bestehenden Landesentwicklungsplans aus dem Jahr 2002 nicht mehr kommen. Doch soll nach Auskunft des Ministeriums „in einem ersten Schritt ein Landesentwicklungsbericht erarbeitet werden“.

Die CDU-Landtagsfraktion setzt auf eine „gleichgewichtige Entwicklung von Stadt und Land“. Auch im Südwesten gibt es Dörfer, die Abwanderung erleben, Infrastruktur blutet aus. Dem wollen die Christdemokraten mit einer Reform des kommunalen Finanzausgleichs entgegenwirken. Schon jetzt erhalten Städte und Gemeinden aus dem kommunalen Finanzausgleich pro Kopf mehr Geld, je mehr Einwohner sie haben. Bis 3000 Einwohner gilt der Grundsatz von 100 Prozent, dann steigt der Kopfbetrag an (Stuttgart als einzige Stadt mit mehr als 500 000 Einwohnern im Land erhält 187 Prozent, das sind pro Kopf rund 2310 Euro). Künftig soll ein zweiter Faktor die Verteilung des Geldes steuern: die Gemeindefläche im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Ab einer Fläche von 4000 qm pro Einwohner aufsteigend sollen die Zuweisungen höher ausfallen. Damit will die CDU große Flächengemeinden mit ihren oft zahlreichen Ortsteilen stärken. 400 Millionen Euro wird das kosten, etwa die Hälfte der 1101 Kommunen im Land soll davon profitieren.

Kommunalverbände sind uneins

Das von Edith Sitzmann (Grüne) geführte Finanzministerium hält von dem Projekt erkennbar nichts. Als Ersatz schlägt das Ressort vor, den für finanzklamme Gemeinden reservierten Ausgleichsstock um ein paar Millionen Euro zu erhöhen. Gemeindetagspräsident Roger Kehle lehnt einen solchen Trostpreis aber ab. „Nur mit dem Flächenfaktor kann es auf Dauer gelingen, das in der Landesverfassung verankerte Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse zu sichern.“

Anders der Städtetag. Er argumentiert, die bestehenden Förderprogramme könnten durch Flächenkomponenten ergänzt werden. Im Übrigen seien die Städte von der Abwanderung aus ländlichen Räumen ebenso betroffen: Sie müssten für den Zuzug eine neue Infrastruktur aufbauen. Die CDU hält dagegen: Mit der Stärkung der Fläche könne der Siedlungsdruck auf die Ballungsgebiete gemildert werden.