Über Jahre zählte Erik Lesser zu den festen Größen im deutschen Biathlon-Team, in diesem Winter steckt der Ex-Weltmeister in einer schlimmen Formkrise. Nun hat er noch genau eine Patrone, um sich für die WM zu qualifizieren.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Pokljuka - Er hatte gekämpft. Er hatte alles gegeben. Er hatte sich beim Zielen ungeheuer konzentriert. Doch gleich hinter der Ziellinie war Erik Lesser klar: Es hat nicht gereicht. Er hat das große Ziel Platz acht nicht geschafft, auch Rang 15, das Mindestziel, blieb außer Reichweite – der Biathlet aus Frankenhain hat die Norm nicht erfüllt, die der Deutsche Skiverband (DSV) für die WM-Teilnahme in Antholz (12. bis 23. Februar) festgelegt hat. Einmal im Weltcup unter die Top acht oder zweimal unter die besten 15. Erik Lesser belegte im 20-Kilometer-Einzel in Pokljuka Platz 20 mit 3:23,5 Minuten Rückstand auf Sieger Johannes Thingnes Bö (Norwegen). Bester Deutscher war Philipp Nawrath (Nesselwang) auf einem hervorragenden vierten Platz.

 

Erik Lesser haderte mit der technisch schwierigen Strecke, aber er registrierte auch reichlich ernüchtert, dass sein Leistungsvermögen ein gutes Stück von dem der Kollegen in der Weltspitze entfernt ist. „Tja, meine Form ist wirklich nicht so gut“, sagte der 31 Jahre alte Routinier, „Platz 20 war nicht das, was ich erreichen wollte.“ Er wollte mehr, die WM-Norm oder wenigstens die halbe. Das Schießen mit nur einem Fehler bei 20 Schüssen genügte höheren Ansprüchen zweifellos, doch in der Loipe hätte man meinen können, an den Skiern des zweimaligen Weltmeisters klebe Steigwachs. Platz 50 in der Laufzeitliste von 109 Startern. Für einen ehemaligen Weltklasse-Biathleten wie Lesser indiskutabel. Dabei hatte er sich auf der Strecke bewusst keine Zwischenzeiten durchgeben lassen, weil er sein eigenes Rennen laufen wollte. „Ich wollte mich ganz allein auf mich konzentrieren“, sagte er, „ich wollte das Beste für mich rausholen und dann sehen, was es wert ist.“ Als alle Teilnehmer im Ziel waren, wusste der Sportsoldat aus Oberhof: Sein Bestes ist für die WM nicht gut genug.

Trefferquote liegt bei nur 75 Prozent

Aus allen Wolken ist Erik Lesser in Pokljuka nicht gefallen, er weiß längst, dass er auf seine älteren Tage in der größten Schaffenskrise seiner Karriere steckt – seit diese Saison mit einem schrecklichen 72. Platz im Einzel und einem ernüchternden Rang 33 im Sprint in Östersund begonnen hatte. Am Schießstand präsentierte sich der Thüringer oft wie ein aufgeregter Halbwüchsiger, der beim Rummel zum ersten Mal an der Schießbude sein Glück versucht. Eine Quote von etwa 75 Prozent ist für ihn so indiskutabel wie für den FC Bayern im Fußball das bloße Erreichen eines Europa-League-Platzes. In seinen besten Zeiten traf Lesser im Weltcup neun von zehn Scheiben. Und in der Loipe erinnert der Verfolgungs-Weltmeister von 2015 diesen Winter an einen genügsamen Volvo im Duell mit einem getunten Porsche.

Nach den Plätzen 70 in Hochfilzen und 82 in Le Grand Bornand jeweils im Sprint wurde er von Bundestrainer Mark Kirchner in die zweite Liga IBU-Cup strafversetzt. Doch auch im Unterhaus führte sich Lesser nicht wie ein Ex-Weltmeister auf – das Podium blieb außer Reichweite, zwei siebte Plätze stehen bei vier Starts als beste Resultate. Als Gnadenbeweis für einen verdienten Athleten gewährte der Bundestrainer dem Thüringer nun die letzte Chance, sich für die Fahrkarte für die WM zu empfehlen. Der andere schwächelnde Ex-Weltmeister Simon Schempp war ohne letzte Chance gestrichen worden. Die WM-Norm erfüllt haben Johannes Kühn (Platz acht im Einzel), Benedikt Doll (10.), Philipp Horn (14.), Arnd Peiffer (45.) und Philipp Nawrath.

Im Massenstart muss mindestens Platz acht her

Einen Schuss hat Lesser im Einzel verballert, eine Patrone hat er noch, um sich nach Antholz zu schießen – am Sonntag im Massenstart. In dem erlesenen Feld der 40 Starter muss der Olympia-Zweite von Sotschi mindestens Achter werden, bei seiner aktuellen Form in der Loipe eher unwahrscheinlich. Jedoch ist die vom DSV gesetzte WM-Norm für den Weltverband IBU keine verbindliche Vorgabe – Kirchner könnte den 31-Jährigen über ein Hintertürchen als Ersatzmann berufen. Fraglich ist, ob dieser das Almosen annähme. „Ich habe das gemacht, was möglich ist“, sagte er, „das ist für ganz vorne nicht gut genug. Dann braucht das Team auch nicht zwingend einen Erik Lesser.“