Krippenspiele für Erwachsene – braucht man das? Ja, findet die evangelische Gemeinde in Eglosheim. Für ihr etwas anderes Weihnachtstheater bekommt sie jetzt den Bibelpreis der württembergischen Landeskirche. Was aber macht ihre Stücke so besonders?

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Wie ein knallgelber Flummi schnellt die drahtige Frau mit kessem Kurzhaarschnitt auf und ab. „Raff dich auf, sei gut drauf“, rappt sie im Stakkato und kreist die Arme dabei. Im Schlepptau hat die Fitness-Fetischistin einen Fußballer, der mit dem Verlieren hadert, und eine Bergwanderin, die sich für alle Eventualitäten gewappnet glaubt: Aus ihrem Rucksack zieht sie eine Elektrolytlösung, einen Müsliriegel, einen Gesteinshammer. Und einen Thermomix.

 

„Vorbereiten kann ich mich auf alles. Aber in der Realität brechen oft unvorhergesehene Ereignisse herein, und dann ist gar nichts mehr geregelt“, sagt Susanne Matthies, das wippende Energiebündel vom Anfang. Die 53-Jährige ist Pfarrerin und Macherin von „Sportliche Weihnachten“. In dem Stück begegnet eine skurrile Truppe von Selbstoptimierern, aber auch An-sich-selbst-Zweiflern, biblischen Figuren aus der Weihnachtsgeschichte. Diese rücken ihnen mit Humor den Blick fürs Wesentliche zurecht mit teils sehr heutiger Wortwahl: Der Weg mit Maria nach Betlehem, meint Josef jovial zu dem Fußballer, sei für ihn physisch und psychisch auch „eine irre Langzeitbelastung“ gewesen“.

Der Thermomix im Survival-Rucksack

Weihnachtsspiele für Erwachsene? Alle, bei denen bei diesem Gedanken ungute Assoziations-Cluster aus tristen Erfahrungen aufploppen – dröge, betulich, infantil, voraussehbare Pointen –, will die Weihnachtsspielgruppe an der Eglosheimer Katharinenkirche eines Besseren belehren. Mit Erfolg: Ihre aus den Licht- und Schattenseiten des Lebens gegriffenen selbstgeschriebenen Stücke – „auf dem Markt gibt es so wenig, was uns wirklich packt“, sagt Matthies – finden von Mal zu Mal größeren Anklang.

Solchen Anklang, dass die Gruppe an diesem Sonntag sogar den Bibelpreis der evangelischen Landeskirche erhält – aus den Händen des Landesbischofs Frank Otfried July. „Als der Anruf kam, war ich schon sehr überrascht“, erzählt Matthies. „Es ist toll, dass unsere Arbeit wahrgenommen und anerkannt wird“. Ein Bischof komme ja auch nicht alle Tage nach Eglosheim. Martin Frantal, 21-jähriger Spieleentwickler und Punkmusiker, der seit Jahren zum Kern der Weihnachtsspielgruppe zählt, strahlt breit. In seinen Worten klingt die Freude so: „Das ist mega! Und geil für die Moral der Truppe!“

Aber bitte ohne Plattitüden

Möglicherweise ist es gerade die Zusammensetzung der Darsteller, die das etwas andere christliche Laienspiel authentisch macht. Vom Vollerwerbs-Landwirt und Feuerwehrmann über den Bauingenieur bis hin zum Lernsoftware-Gestalter sammeln sich, wenn es im Zwei-Jahres-Turnus zur Herbstzeit ans Einstudieren geht, die unterschiedlichsten Menschen. Junge, Ältere, auch solche, die sonst nicht automatisch im Gemeindeleben präsent sind. „Normale Leute, die mitten im Leben stehen und zeigen, dass die Bibel nicht altmodisch ist“, sagt Matthies. Dafür sitzen im Publikum dann auch Menschen, die sie sonst nicht in der Kirche sieht.

Dass die Stücke gut durchkomponiert sind, die Texte gestaltet statt nur aufgesagt werden, Kulissen, Requisiten, Ton und Technik aus einem Guss sind, versteht sich für die Gruppe. „Ich habe schon einen hohen Anspruch“, erklärt die resolute Pfarrerin, die – mit ihrem Mann als Co-Autor – Texterin und Regisseurin in Personalunion ist. Es soll ja etwas Überraschendes, Inspirierendes herauskommen, das in den Leuten nachklingt.

Weihnachtscasting: Wer bietet mehr?

Lustig dürfen die Stücke sein, aber Tiefgang sollen sie auf jeden Fall haben: Platt mag ich nicht“, stellt Matthies klar, „das Leben ist auch nicht platt.“ Einmal war das Setting eine Hotel-Empfangshalle, in der die Menschen auf Durchreise mit den Figuren der dort aufgestellten Krippe in Interaktion traten – „mein absolutes Lieblingsstück bisher“, kommentiert Martin Frantal. Beim „Weihnachtscasting“ fuhren die Darsteller mit Tanz, Gesang und Pantomine auf. Beim Stück „Durch die Nacht“ ging es auch um schwere persönliche Lebenssituationen. „Das ging sehr tief, das war nicht sehr lustig“, erinnert sich Susanne Matthies. Aber die Lebenssituationen der Zuschauer sind ja oft auch nicht lustig. Und auch die der Darsteller nicht.

Die 59-jährige Heidrun Martini verlor kürzlich ihren Mann. Er bekam eine heimtückische Krankheit, dann blieb ihm kaum mehr ein Jahr Lebenszeit. Die Weihnachtsspielgruppe gehört zu den Rettungsankern, die Heidrun Martini das Weiterleben leichter machen. „Ich gehe auch sonst viel unter die Leute und engagiere mich“, erzählt sie. „Ich bin für kleine Dinge dankbar geworden, und artikuliere das auch.“ Viele Menschen, sagt Seelsorgerin Matthies, machten Schweres durch und kämen dennoch wieder heraus. Auch das sollten die Weihnachtsspiele vermitteln: „Resilienz mit Gottes Hilfe.“

„Ich find’s furchtbar langweilig, nur zu referieren“

Eigentlich wäre dieses Jahr Spielpause gewesen. Angesichts des Bibelpreises wurde die Gruppe aber doch zusammengetrommelt. Bei der Preisverleihung nur über die Stücke zu erzählen, anstatt einen Eindruck davon zu vermitteln, das wollte sie dann doch nicht. „Ich find’s furchtbar langweilig, mich nur vorne hinzustellen und zu referieren“, meint Susanne Matthies. Also gibt es eine Wiederauferstehung des letztjährigen Stückes „Sportliche Weihnachten“. Mit kleiner Titeländerung: Weil die Preisverleihung am 15. Dezember ist, heißt es jetzt „Sportlicher Advent“.

Die Verleihung:
Den Bibelpreis verleiht der evangelische Landesbischof Frank Otfried July am Sonntag, 15. Dezember, im Gottesdienst, der um 10 Uhr in der Eglosheimer Katharinenkirche beginnt. Danach gibt es im Gemeindehaus in der Fischbrunnenstraße einen Empfang. Die Hauptpreisträger – das Eglosheimer Weihnachtsensemble – und auch die Gewinner der Sonderpreise für Kinder, Jugendliche, Klassen und Konfirmanden stellen ihre ausgezeichneten Projekte vor. Sie kommen aus Essingen, Obersulm und Warthausen.

Der Preis:
Mit dem Bibelpreis zeichnet die evangelische Landeskirche alle zwei Jahre Menschen aus, die „auf besondere und originelle Weise die Bibel und ihre Botschaft zu den Menschen bringen“. Der Hauptpreis ist mit 3000 Euro dotiert, in Eglosheim soll damit in die Technik investiert werden. Zudem gibt es bis zu drei Sonderpreise zu jeweils 1000 Euro.

Die Stücke:
Interessierten Weihnachtsspielgruppen stellt Susanne Matthies die Stücke gerne zum Nachspielen zur Verfügung.