Vor fünf Jahren gab es Zweifel, Grün-Rot könne erfolgreich Kulturpolitik gestalten. Tatsächlich gab es dann ein paar Unfälle, zum Beispiel bei der Debatte um die Musikhochschulen.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Können die das überhaupt? Als Grüne und SPD im Frühjahr 2011 mit knapper Landtagsmehrheit die Regierungsverantwortung in Baden-Württemberg übernahmen, war das bei vielen die Frage der Stunde. Das galt auch für die Kulturszene: Politisch standen viele Kulturschaffende der neuen Farbenlehre im Südwesten positiv gegenüber. Doch kulturpolitisch war man über viele Jahre mit einem CDU-geführten Kunstministerium sehr gut und verlässlich ausgekommen.

 

Konnte man sicher sein, dass die neue Führung im Stuttgarter Mittnachtbau an der Königstraße überhaupt Sinn für die reiche Kulturlandschaft im Südwesten hatte? Mit gleich zwei Grünen an der Spitze, der Hochschulexpertin Theresia Bauer aus Heidelberg als Ministerin und dem Ludwigsburger Ex-Kulturmanager Jürgen Walter als Staatssekretär? Vertreter also jener Partei, die lange Zeit auf eine im Grunde recht spießbürgerliche Art ihre soziobiotopischen Ressentiments gegen angeblich zu glanzvolle, weil hochsubventionierte Staatskultur gepflegt hatte?

Solche Bedenken zum Start konnten Bauer und Walter schnell zum Verstummen bringen. Nicht nur, dass es ihnen bei der Ressortverteilung gelang, mit der Filmförderung und der Laien- und Breitenkultur zwei wichtige Themenbereiche aus anderen Ministerien an sich zu ziehen, sie also Gestaltungswillen zeigten. Gleich in den ersten Wochen konnten sie zudem eine spektakuläre Personalie präsentieren: Es gelang ihnen, den Berliner Armin Petras als Intendanten des Schauspiels Stuttgart zu verpflichten, was großes Erstaunen bis tief in die Hauptstadtpresse hinein erzeugte. Und zudem gab es den Coup in stiller Koalition mit dem damals noch CDU-geführten Stuttgarter Rathaus.

Ein Prozent des Gesamthaushaltes geht in die Kultur

Auch bei anderen Personalentscheidungen der vergangenen fünf Jahre bewiesen Bauer und Walter Geschick. In Karlsruhe bringen Peter Spuhler am Badischen Staatstheater und Eckart Köhne am Landesmuseum frischen Wind und neues Profil. Mit Elisabeth Schweeger hat man endlich eine wirklich am Haus und seinem Thema interessierte Chefin für die Akademie der Darstellenden Künste in Ludwigsburg gefunden. Kulturpolitisch ist die Entscheidung für den neuen Stuttgarter Ballettintendanten Tamas Detrich ebenso gut nachvollziehbar wie für den künftigen Opernchef Viktor Schoner. Allein bei Christiane Lange, seit 2013 Direktorin der Stuttgarter Staatsgalerie, wartet man immer noch auf habhafte Zeichen, wohin genau die Reise ihres Hauses gehen soll – eigentlich das Flaggschiff der Museen des Landes; die Betonung liegt auf „eigentlich“.

Doch gutes Personal ist ja nur die eine Seite der Medaille. Mindestens ebenso wichtig sind die Finanzen. Gerade mal ein Prozent des Landeshaushaltes (2014: 437 Millionen Euro) gibt Baden-Württemberg für die Kultur aus (angesichts häufiger Behauptungen, es seien die Künste, die das Land in den Ruin trieben, muss man immer an die Relation erinnern). Gleich zweimal konnte das Kunstministerium in den Haushaltsberatungen Zuschläge durchsetzen: im Haushalt 2012 gab es 8 Millionen Euro zusätzliche Mittel, im Doppelhaushalt 2015/16 sogar 60 Millionen. Ein Erfolg, der nur möglich war, weil in Person von Nils Schmid (SPD) auch im Finanzministerium ein verlässlicher Kulturfreund das Sagen hat.

Mit den zusätzlichen Mitteln konnte Grün-Rot nicht nur manch strukturelle Unterfinanzierung an Theatern und Häusern ausgleichen, die sich in den letzten Jahren der CDU-Regierung aufsummiert hatte. Zudem gab es nun endlich Freiraum für neue Ideen und Projekte in einem Innovationsfonds, mehr Mittel für die notorisch klamme freie Szene – und, na also, na endlich, auch einen wärmenden Geldregen für die Soziokultur und viele kleinere Kultureinrichtungen in den Regionen, von Schwäbisch Hall über Heidenheim bis tief in den Schwarzwald. Dass bei manchen dieser Einrichtungen nicht immer ganz sicher ist, welcher Anspruch, wie viel Perspektive in den Programmen wirklich zu finden ist, ob sich großes Engagement auch verbindet mit inhaltlichem Profil – man ist großzügig.

Die Debatte um die Musikhochschulen ging erst mal schief

Was dem Mittnachtbau dagegen lange Zeit völlig aus dem Ruder lief, war die Debatte über die Musikhochschulen des Landes. Angestoßen durch einen kritischen Bericht des Landesrechnungshofes 2013 planten Bauer und Walter eine große Strukturreform, eine Konzentration der Studiengänge, konsequente Schwerpunktbildung an den fünf Hochschulstandorten sowie einen Studienplatzabbau. Womit sie offenbar nicht gerechnet hatten, war der zum Teil erbitterte lokale Widerstand, beispielsweise ihres Parteifreundes Fritz Kuhn, der als neuer OB im Stuttgarter Rathaus nach dem Fernsehturm nicht gleich auch noch den Studiengang Jazz an seiner Hochschule schließen lassen wollte.

Das von Taktik und Intrigen gut durchwirkte Hin und Her jener Wochen hat sowohl Bauer als auch Walter beschädigt – wenn auch das Ende der Debatte letztlich für alle irgendwie zufriedenstellend war: Es gibt nun Geld für neue Schwerpunkte, aber auch für die Lehrkräfte. Und in Mannheim entsteht sogar neu ein Studiengang Weltmusik.

Dabei muss auch über Altbewährtes immer wieder gestritten werden – man denke an das ZKM in Karlsruhe oder die Akademie Schloss Solitude, einst Speerspitzen der Innovation, die nun unter langjähriger Leitung ruhig und stetig, aber auch ein wenig dinosaurös in der Kulturlandschaft stehen. In dieser Abteilung Aufgabenkritik trauten sich die beiden Grünen erstaunlich wenig zu – als gebrannte Kinder? Doch selbst, wenn einiges auf der Aufgabenliste von Grün-Rot stehen geblieben sein mag, das Positive überwiegt. Entscheiden wird die Kulturpolitik die Wahlen am Sonntag ganz sicher nicht. Aber unterm Strich: „können“ können sie’s.