Wenn Arzt und Patient nicht dieselbe Sprache sprechen, gestaltet sich die Behandlung schwierig. Die Stuttgarter Urologin Christina Heiligensetzer hat mit ihrem Mann Alf Setzer einen Verlag gegründet, um mithilfe von Bildern die Kommunikation zu erleichtern.

Stuttgart - Meinem Papa tut der Schwanz beim Pissen weh!“, übersetzte die Grundschülerin. Der Vater war des Deutschen nicht mächtig, drum musste die Tochter vermitteln. Einfach toll, wie direkt Kinder manchmal sein können, nicht wahr? Bei einer ärztlichen Untersuchung allerdings ist’s mitunter irritierend. „Da stand für mich fest: Das reicht jetzt, so geht das nicht mehr!“, erzählt die Stuttgarter Urologin Dr. Christina Heiligensetzer über jenen folgenreichen Tag.

 

Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen kennen solche Kommunikationsschwierigkeiten: „Manche Ärzte nehmen sich Zeit und versuchen, mit Händen und Füßen die nötigen Informationen von den Patienten zu bekommen. Andere schicken den Kranken, soweit medizinisch vertretbar, nach Hause und empfehlen, mit einem Dolmetscher wiederzukommen“, sagt die Medizinerin. Manche Nichtmuttersprachler können sich im Alltag zwar hervorragend verständigen, können einkaufen, im Restaurant bestellen und sich mit den Kollegen austauschen. Doch beim Arzt fehlen dann die Vokabeln.

2008 erschien das Erstlingswerk

Dabei lässt sich die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten vergleichsweise simpel gestalten: mit Bildern, die verschiedene Beschwerden zeigen, auf die die Betroffenen lediglich zu zeigen brauchen. Solche bildgestützten Kommunikationshilfen veröffentlichen Christina Heiligensetzer und ihr Mann, der Künstler Alf Setzer, im selbstgegründeten Setzer Verlag. Im Jahre 2005 fingen die Setzers damit an, die ersten Illustrationen selbst anzufertigen. Anno 2008 erschien das Erstlingswerk „tıp doc“.

Nebst den Illustrationen verschiedener Beschwerden finden sich im „tıp doc“ Anweisungen („Anspannen!“ oder „Locker lassen!“) und Fragen („Wie stark? Seit wann?“), die man beim Arzt eben häufig braucht. Dazu Übersetzungen in etlichen Sprachen. „Angefangen haben wir mit Türkisch, Italienisch und Serbisch“, sagt Heiligensetzer.

Schnell kamen daraufhin Wünsche nach weiteren Sprachen wie Farsi oder Arabisch hinzu. Da taten sich schon die ersten Schwierigkeiten auf: Eine perfekte Übersetzung des Arabischen gibt es nicht. Der Sprachraum ist dafür zu groß. In Marokko drückt man sich anders aus als in Syrien. Drum orientierten sich die angeheuerten Übersetzer am ägyptischen und saudischen Dialekt, der am weitesten verbreitet ist, weil das Fernsehen größtenteils in diesen Ländern produziert wird.

Auch in vielen Krankenwagen fährt das Büchlein mit

Als sich herausstellte, dass das Prinzip gut funktionierte, folgte das kleine Büchlein „tıp doc Emergency“ für Notärzte. Heute liegt es in vielen Krankenwagen und hilft den Rettungssanitätern während des Einsatzes. Dazu gibt es auch eine App mit 23 Sprachen. Das rief auch andere auf den Plan: „Nach und nach haben wir Anfragen erhalten, ob wir dieses Bild-Sprache-Prinzip nicht auch beispielsweise für pädagogische Themen anbieten können“, so Heiligensetzer. Mittlerweile sind mehr als 50 verschiedene Kommunikationshilfen erschienen.

In Zusammenarbeit mit dem kommunalen Integrationszentrum in Bielefeld fing das Paar an, zusammenzutragen, bei welchen Begriffen Bedarf besteht. Grundschullehrerinnen und -lehrer etwa haben bisweilen ähnliche Verständigungsschwierigkeiten wie Ärzte: Die Eltern verstehen nichts, ihr Kind muss übersetzen. Was umso problematischer ist, ist doch das Sujet des Gesprächs in der Regel das Kind selbst. Auch Ursachen für Krankmeldungen, anfallende Kosten bei Schulunternehmungen oder Angebote der Ganztagesschule sind ohne Worte kaum zu vermitteln. Drum sind die Schulmaterialien weniger für die Schüler, sondern eher fürs Elterngespräch gedacht.

Und dann ist da noch die Psychiatrie. Seelische Beschwerden lassen sich bar einer gemeinsamen Sprache noch schwieriger kommunizieren. Aber auch sie kann man illustrieren. Heiligensetzer: „Anfang 2015 hat sich abgezeichnet, dass viele fremdsprachige Menschen mit extremen Belastungen hier ankommen, die Hilfe benötigen. Es gab bis dahin nichts, was Psychiater bei dieser Aufgabe unterstützt hat.“ Also entwickelte man „tıp doc Psychiatrie“, das in 14 Sprachen bei der psychiatrischen Erstanamnese hilft. Der Erlös, den der Setzer Verlag mit diesen Bänden erzielt, fließt stets direkt ins nächste Projekt.

Warum gibt es das nicht schon längst?

Eine Frage stellt sich allerdings schon: Warum gab es all das nicht schon längst? Wieso musste ein Paar aus Stuttgart die Initiative ergreifen? „Wir Ärzte sind eher schriftfixiert“, meint Christina Heiligensetzer: „In der Beratung und im Gesundheitsdienst geht alles über textlastige Broschüren.“ Auch die Fragebögen, die beim Arzt ausgeteilt werden, sind häufig lediglich in deutscher Sprache formuliert. Mehrsprachige Versionen bietet der Setzer Verlag auf seiner Homepage wie einige seiner Materialien kostenlos zum Download an. Hat der Patient eine Allergie? Ist die Patientin schwanger? „Wenn ich das nicht hundertprozentig klären kann und trotzdem ein Medikament verschreibe, ist das Russisches Roulette“, urteilt die Doktorin.

Die Materialien des Stuttgarter Setzer Verlags sind also nicht nur hilfreich und ersparen manch unangenehme Situation, wenn der Phallus beim Urinieren schmerzt. Im Ernstfall können sie Leben retten.