Sind Gemeinschaftsschulen ein Auffangbecken für schlechte Schüler? Bei einem Besuch in der Fellbacher Zeppelinschule bekommen Eltern und Kinder einen überraschenden Einblick – und lernen Lehrer kennen, die stolz von ihren Erfahrungen berichten.

Fellbach - Eltern von Viertklässlern haben derzeit eine spannende Zeit. Denn für sie steht die Entscheidung an: Auf welche weiterführende Schule schicke ich mein Kind? Welche Schulart ist die beste, wo kann es sich optimal entwickeln? Soll es das achtzügige Gymnasium, kurz G8 sein, die Realschule oder doch lieber die Gemeinschaftsschule?

 

Viele Eltern konnten sich zudem während eines Unterrichtsbesuchs im sogenannten gläsernen Klassenzimmer ein Bild davon machen

Mit zwei Realschulen, zwei Gymnasien und der Zeppelinschule als Gemeinschaftsschule haben die Eltern in Fellbach große Auswahl. Zeppelin-Rektor Sascha Theiss ist von seiner Schulart überzeugt. „Die Gemeinschaftsschule ist eine tolle Alternative zum G8“, sagt er und begründet das mit „optimalen Fördermöglichkeiten“ für die Kinder mit verschiedenem Leistungsniveau. Zahlreiche Eltern und Kinder nicht nur aus Fellbach, sondern auch aus Stuttgart und dem Remstal hat Theiss jetzt bei einem Tag der offenen Tür erklärt, wie hier gelernt und gearbeitet wird. Viele Eltern konnten sich zudem während eines Unterrichtsbesuchs im sogenannten gläsernen Klassenzimmer ein Bild davon machen, wie Gemeinschaftsschule konkret funktioniert. Denn noch immer, das hat Theiss in Gesprächen erfahren, stecke in vielen Köpfen ein Vorurteil: Gemeinschaftsschule sei nur etwas für schlechte Schüler, ein Auffangbecken für allerlei Leistungsstufen, eine „Notlösung“ also.

Alle Kinder lernen und arbeiten auf ihrem eigenen Niveau

Eines stimmt durchaus: In der Gemeinschaftsschule sind unterschiedliche Lernniveaus vereint. Aber muss das denn grundsätzlich schlecht sein? Theiss schmerzt die Einstellung vieler Eltern, schließlich spiegle sie so gar nicht wider, wie eine Gemeinschaftsschule tatsächlich funktioniere. Denn an den landesweit 306 Schulen dieser Art, 2012 vom Kultusministerium eingeführt, und auf der die Schüler mit der 9. beziehungsweise 10. Klasse abschließen, stehe die individuelle Förderung im Mittelpunkt: Alle Kinder lernen und arbeiten auf ihrem eigenen Niveau, das heißt dann Grund-, Mittel- oder erweitertes Niveau. Während des Vormittags gibt es Lernzeiten, während der Mädchen und Jungen still, aber unter Aufsicht ihre sogenannte Lernwegeliste abarbeiten. Noten gibt es ab der 8. Klasse, davor erhalten die Kinder Beurteilungen.Zu den Schülern der 9. Klasse gehört auch Ann-Kathrin Munz. „Wenn ich eine Arbeit schreibe, kann ich an dem Tag spontan entscheiden, auf welchem Niveau ich sie schreiben möchte – je nachdem, wie gut ich mich vorbereitet habe“, erzählt sie. Noch nie habe sie die Gemeinschafts-schule als Manko empfunden. „Ich wurde früh zur Selbstständigkeit, zum eigenständigen Lernen und zur guten Selbsteinschätzung erzogen“, sagt sie. Sie wird nach der 10. Klasse wohl aufs Wirtschaftsgymnasium wechseln und ihr Abitur machen.

Mittlerweile spreche das Mädchen Deutsch, Englisch, Französisch und habe zudem mit der Spanisch-AG an der Schule begonnen

Die Erfahrungen von Ann-Kathrin Munz werden von Lehrern bestätigt. „Hier kann ich jedes Kind auf seinem Niveau fördern und unterstützen, das ist wunderbar“, sagt etwa Heike Friedrich. Als Kind habe man extrem viele Möglichkeiten, sagt sie, und berichtet von einem Kind, das jüngst mit praktisch keinen Deutschkenntnissen aus Kroatien kam. Mittlerweile spreche das Mädchen Deutsch, Englisch, Französisch und habe zudem mit der Spanisch-AG an der Schule begonnen. „So etwas macht mich stolz und glücklich“, sagt die Pädagogin. Die Integrationskraft Ulrike Fried lobt: „Diese Schulart ist wichtig für Kinder, die bisher in der zweiten Reihe standen. Denn genau diese Kinder treten hier plötzlich aus dem Hintergrund und entfalten sich ganz toll.“

Für Liliane und Timo Walter aus Luginsland steht die Gemeinschaftsschule an erster Stelle bei der Wahl der weiterführenden Schule für ihre Tochter Anna-Lena. „Alle lernen hier gemeinsam, die Schwachen lernen von den Guten, und die lernen sicher auch einiges von den Schwachen“, sagt Liliane Walter. Für ihre Tochter sei es am wichtigsten, dass sie nicht einen Druck wie bei G8 verspüre, sondern sich in Ruhe auf ihren Schulabschluss vorbereiten könne. Die vor Kurzem geäußerte Kritik mancher an einer Gemeinschaftsschule beschäftigten Gymnasiallehrer, dass sie schlechter behandelt würden als Hauptschulkollegen, kann Sascha Theiss nicht nachvollziehen. „Auf eine Stelle habe ich zehn Bewerbungen“, erzählt er. An seiner Schule herrsche ein „ganz besonderer Spirit“, und alle an der Zeppelinschule wollten vor allem eines: „wertvolle Schularbeit mit ganz vielen Optionen für ganz viele Kinder“ leisten.