Die Studenten werden jünger. In der Folge werden viele Abiturienten beim ersten Gang an die Uni von Mutter und Vater tatkräftig unterstützt.

Dresden - So ist das also, wenn Eltern gemeinsam mit ihren Kindern eine Universität besuchen. Was den Redefluss angeht, eine höchst unausgewogene Sache - aber harmonisch. Die einen sprechen, die anderen schweigen. Die Kinder heißen in diesem Fall Thorsten und Daniel, sind 18 und 20 Jahre alt und wollen Informatik studieren. Zwei hochgewachsene junge Männer, die bei der Führung einer Elterngruppe über den Campus der Dresdner TU ihre Mütter begleiten.

 

Die Führung beginnt um 10.30 Uhr mit historischen Themen im Museum der Hochschule, der Kustodie. Die Mütter überrennen die Universitätsführerin Romy Zell, eine Kunsthistorikerin, aber gleich mit gegenwartsbezogenen Fragen: "Wir haben uns zeitig beworben und trotzdem eine Absage vom Wohnheim bekommen!" "Kann man von Bachelorstudium auf Diplom wechseln?" "Wo beantragen wir Bafög?"

So geht das dann in einem fort. Die Mütter und Väter reden, die mitgekommenen Kinder bleiben stumm und tragen die Tüten mit den kiloschweren Prospekten der Uni. Einmal rutscht einer Mutter der Satz heraus: "Wir haben uns fürs Bachelorstudium, äh, mein Sohn hat sich fürs Bachelorstudium entschieden."

Elternführung zur Imagepflege

Früher war der Schritt ins akademische Leben eine Zäsur. Von da an erforschte man die Freiheit des Lebens. Spätestens jetzt mussten sich die jungen Leute selbst durchschlagen mit Studienplatz- und Zimmersuche, allein gelassen mit dem Vorlesungsverzeichnis. Heute sind die Eltern häufig bei den ersten Schritten an die Universität oder Fachhochschule dabei.

Die TU Dresden hat als erste Uni 2009 mit den Elternführungen begonnen, nicht um deren Neugierde zu befriedigen, sondern um ihr Image zu heben. Gerade in Westdeutschland habe es "gewisse Vorurteile" gegenüber ostdeutschen Hochschulen gegeben. Von maroden Gebäuden und Fremdenfeindlichkeit sei die Rede gewesen, sagt Alexandra Schröder, die Koordinatorin der Elternbetreuung. Mit den Campustouren versucht die TU auf ihre Vorzüge hinzuweisen: eine Traditionsuniversität in einer freundlichen Kunst- und Wissenschaftsstadt mit niedrigen Lebenshaltungskosten.

Alexandra Schröder zählt bei den acht Führungen im Jahr jeweils rund acht bis zehn Elternpaare, sie hat drei Hauptmotive festgestellt: "Der finanzielle Aspekt ist für Eltern wichtig. Dann wollen sie wissen, wo ihre Kinder wohnen werden und wie ihr Alltag aussieht. Drittens treibt sie die Sorge, ob sie hier rasch Anschluss finden."

Schnitzel in der Mensa

Die Elterngruppe hat mittlerweile einen kurzweiligen Vortrag über die Historie der TU gehört und dass man sich hier in der DDR-Zeit "mit viel Kreativität auch mal selbst die Messgeräte gebastelt hat", wie Kustodie-Leiter Klaus Mauersberg betont. Man hat das Trabbi-Modell von 1982 bestaunt, das "leider nie verwirklicht wurde", sagt Mauersberg.

Mittags gibt es dann in der Mensa, wo das Billigmenü 1,70 Euro kostet, Putenschnitzel und Nudelsalat. Und jetzt stehen die Eltern auf dem Rasenplatz der neu gebauten Sächsischen Landesbibliothek im Schatten eines Baumes und lauschen den mit Schautafeln unterstützen Ausführungen von Romy Zell über das allgemeine Studentenleben. Über das schwierige, aber NC-freie Maschinenbaustudium ("Da müssen Sie sich durchquälen"), die Öffnungszeiten der Bücherei ("bis Mitternacht") und die besten Wohnviertel.

Rund 266 Euro koste hier eine Studentenbude im Durchschnitt, sagt Zell. Auf dem freien Wohnungsmarkt gibt es aber schon 25-Quadratmeter-Wohnungen im Plattenbau ab 130 Euro kalt. Nebenbei erfahren die Eltern, dass im Szeneviertel Dresden-Neustadt die höchste Partydichte herrsche. Für sie, sagt Frau Zell, wäre das wirklich nichts, sie benötige Ruhe beim Arbeiten, und auf den "Lärm von Tequila-Partys" könne sie verzichten. Danke für den wichtigen Hinweis - Neustadt kommt nicht mehr infrage.

Höhepunkt des Tages: Die Studienberatung

Die Kluft zwischen den Generationen in der Gruppe lässt sich nicht ganz wegdiskutieren, was eine Szene vor der Bibliothek belegt: Dutzende von Studenten sitzen da in der Sonne in den Liegestühlen der Bibliothek, trinken Kaffee, schwatzen und blättern in Büchern, und einer Mutter entfährt der Satz: "Das sind die Leute, die später montags blaumachen."

Thorsten und Daniel schweigen höflich, dieser Besuchertag ist, wie gesagt, sehr harmonisch. Er beinhaltet noch eine Inaugenscheinnahme fast aller Gebäude des Campus und eine Führung durch die von 1903 stammende Sternwarte, die mit ihren angelaufenen Fenstern alten DDR-Charme versprüht und dennoch das Wahrzeichen der Uni ist.

Den Höhepunkt hat die Dramaturgie an den Schluss gelegt: den Besuch der Studienberatung: Ein Ehepaar aus Frankfurt/Oder, dessen jüngster Sohn noch in Australien weilt, für den sie nun aber alles klarmachen sollen für ein Studium in Dresden, stellt dezidierte Fragen: Ob man die Studentenkarte elektronisch aufladen könne wie an der TU Ilmenau? Ob es genügend Plätze in den Masterstudiengänge gäbe, und wie es mit dem Betreuungsverhältnis aussehe, denn ihr "Großer" studiere in Berlin, und der sehe seinen Professor ja kaum.

Oft melden Kinder ihre Eltern an

Cornelia Blum, die Leiterin der Studienberatung, muss die elterliche Fürsorge manchmal bremsen. Einem Vater sagt sie: "Ob Ihr Sohn einen Brückenkurs in Mathe macht, das muss er selbst entscheiden." Oft sei es etwas schwierig, sagt Blum, wenn die Eltern alles in die Hand nehmen wollten "und die Kinder nicht zu Wort kommen". Andererseits hat sie in den sechs Jahren in der Studienberatung erfahren, dass es die Kinder gerne sehen, "wenn die Eltern einverstanden sind mit der Studien- und Uniwahl". Es sind oft die Kinder, die ihre Eltern in Dresden für die Führung anmelden.

Dabei ist der Hang zum Delegieren bei den Jungen ausgeprägt: Oft reisten Abiturienten ins Ausland und überließen den Eltern einen Stapel mit Unibewerbungen, um die sie sich kümmern sollen. "Wird ein Studienplatz abgelehnt, rufen verzweifelte Eltern bei uns an und fragen: Was sollen wir machen?", erzählt Cornelia Blum.

Nach sechs Stunden ist die Campustour vorbei. Das Lob ist groß. "Man hat einen guten Einblick in das Umfeld erhalten, es ist alles gut organisiert hier", sagt Ruth Kuon, eine Mutter aus Hamburg. Ja, man sei jetzt "ortskundig" und habe nicht nur die Informationen aus dem Internet, meint Elisabeth Seyschab, eine Mutter und Gymnasiallehrerin aus Würzburg. Als sie einst ihr Studium aufnahm, da habe sie alles allein machen müssen. Heute sei das eben anders. Dass der akademische Nachwuchs hier bei der Campusführung wieder in die Rolle von Kindern schlüpft, das stört Elisabeth Seyschab überhaupt nicht: "Wieso? Das sind doch unsere Kinder, und es werden immer unsere Kinder sein."

Papa in der Studentenkneipe

Sprechstunde Immer mehr deutsche Hochschulen binden die Eltern ein: Die Uni in Frankfurt/Main lädt sie einmal im Jahr zum Elternsprechtag, an der Gesamthochschule Kassel gibt es Elternabende und in Aachen Vorträge darüber, was Vater und Mutter bei der Studienwahl ihres Kindes beachten müssen.

Elternalarm Die Stuttgarter Uni bittet Eltern zur "Avete Academici", der Begrüßungsveranstaltung für Erstsemester. Außerdem hat ihre Studienberatung im März erstmals einen Informationsabend für Eltern von Schülern der Jahrgangsstufen 11, 12 und 13 veranstaltet. An der Uni Münster heißt es alle zwei Jahre "Elternalarm": An einem Wochenende tummeln sich bis zu 500 Eltern an der Uni, besuchen Vorlesungen, Mensen und Studentenkneipen.