Viele Talente träumen von einer erfolgreichen Sportlerkarriere. Der Weg dorthin ist weit. Das größte Problem ist es, Training und Schule zu vereinbaren – seit der Einführung des achtjährigen Gymnasiums mehr denn je. Eliteschulen des Sports helfen dabei.

Stuttgart - Sara hat den Terminplan eines Topmanagers: Neben 35 Wochenstunden Schule trainiert sie 20 Stunden, zweimal morgens in aller Frühe. Danach Unterricht, Mittagessen, Hausaufgaben, Nachführunterricht für die verpassten Stunden, Ball- oder Krafttraining am Olympiastützpunkt, Physiotherapie. Abends lernt sie für Klassenarbeiten, am Wochenende stehen Spiele, Lehrgänge oder Turniere an. 60- bis 80-Stunden-Wochen, 14-Stunden-Tage sind Normalität. Sara Marjanovic ist 17 Jahre alt und Volleyball-Jugendnationalspielerin. Viele junge Talente wie sie versuchen, ihre Schullaufbahn neben der sportlichen Ausbildung erfolgreich zu meistern. Den meisten gelingt dies mithilfe der rund 43 Eliteschulen des Sports in ganz Deutschland.

 

In Stuttgart haben sechs Schulen das Gütesiegel des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und der Kultusministerkonferenz. Sie kooperieren mit dem Olympiastützpunkt, der darüber entscheidet, welche Sportler förderungswürdig sind. Seit 15 Jahren ist das Schickhardt-Gymnasium im Stuttgarter Süden eine Eliteschule des Sports, der Schwerpunkt liegt auf Volleyball, Mädchenfußball und Handball. Der Volleyball-Bundesligist MTV Allianz Stuttgart, der VfL Sindelfingen und der Handball-Bundesligist TV Bittenfeld-Stuttgart schicken ihre Talente dorthin.

Die Athleten sollen vor allem ein gutes Abitur machen

„Unter den knapp 600 Schülern haben wir etwa 80 Sportler“, sagt der Rektor des Schickhardt-Gymnasiums, Edwin Bartels. Die Zugehörigkeit der Sportler zum Landes- oder Bundeskader ist entscheidend, danach berechnet sich die finanzielle Förderung. Das Land Baden-Württemberg stellt für Kadersportler eigene Deputatsstunden zur Verfügung. Am Schickhardt-Gymnasium kümmern sich vier Lehrertrainer mit A-Trainerlizenzen um die Talente.

Daniel Riedl, der Ansprechpartner für die rund 20 Volleyballerinnen, koordiniert das Training, erstellt individuelle Stundenpläne, hält Kontakt zu Verbänden und Vereinen und kümmert sich darum, dass verpasster Stoff nachgeholt wird. „Trotz aller Begeisterung für den Sport – oberstes Ziel ist es, dass die Athleten ein gutes Abitur machen“, sagt der Lehrer für Geografie, Geschichte und Sport.

„Die Koordination ist zeitintensiv“, sagt der Rektor Bartels. Seine Motivation? „Das sind hochbegabte junge Menschen, die sich mit Leidenschaft für ihren Sport und damit für das Gemeinwohl und die Gesellschaft einsetzen. Wir halten ihnen den Rücken frei.“ Nur wer mental frei sei, könne sportliche Bestleistungen abrufen.

Wirtemberg-Gymnasium kooperiert seit Jahren mit dem VfB

Das sieht auch Martin Bizer so. Um Leistungssport und Schule zu vereinbaren, seien Eliteschulen des Sports unverzichtbar, meint der Rektor des Wirtemberg-Gymnasiums in Untertürkheim. Hier gehen 70 Kaderathleten zur Schule, die schon Olympiateilnehmer im Turnen wie Marcel Nguyen, Kim Bui oder die Weltcupsiegerin Tabea Alt bei der Karriere unterstützt hat. Das Wirtemberg-Gymnasium erfüllt parallel auch alle Kriterien, um als „Eliteschule des Fußballs“ vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) anerkannt zu werden. Fußballprofis wie Timo Werner (RB Leipzig), Timo Baumgartl (VfB Stuttgart) oder Joshua Kimmich (Bayern München) haben hier ihr Abitur gemacht. Seit Jahren kooperiert die Schule mit dem VfB Stuttgart und unterrichtet bis zu 20 VfB-Talente.

Das wird sich möglicherweise bald ändern, denn der Fußball-Zweitligaclub hat angekündigt, künftig auch mit der privaten Kolping-Akademie in Fellbach zu kooperieren. Eine Tatsache, die nicht nur den Schulleiter Bizer verärgert hat – er erfuhr in einem Schreiben des VfB-Präsidenten Wolfgang Dietrich davon. Auch der DFB und Baden-Württembergs Sport- und Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) waren vorab nicht informiert.

Die Ministerin zeigte sich überrascht von dem Vorgehen des VfB: „Weder das Kultusministerium noch die anderen Partner im Verbund ‚Eliteschule des Fußballs‘ waren über die Überlegungen des VfB im Vorfeld informiert.“ Sie habe ihre „Verwunderung über dieses Vorgehen“ auch dem VfB-Präsidenten mitgeteilt. Eisenmann geht aber davon aus, dass „keine weiteren Vereine oder Verbände dem Beispiel des VfB folgen“. Damit bleibe das System der Eliteschulen stabil, das Kultusministerium werde sie „weiterhin und ohne Abstriche unterstützen“.

VfB reagiert in einem offenen Brief

In einem offenen Brief haben der VfB und sein Präsident Dietrich auf den Unmut reagiert: „Wir haben keine Entscheidung gegen irgendetwas getroffen, sondern wir haben eine Entscheidung für die Optimierung unserer Arbeit im Nachwuchsbereich getroffen“, heißt es darin. Dabei gehe es nicht um eine Aufkündigung der bisherigen Zusammenarbeit mit den Eliteschulen, sondern „um eine Erweiterung des Angebots“. Den Schritt begründet der VfB mit der Wettbewerbsfähigkeit, „um dauerhaft konkurrenzfähig zu sein“. So haben einige Bundesligaclubs sogar eigene Schulen. Zudem verweist der VfB-Präsident auch auf die Freiwilligkeit der Entscheidung: „Kein einziges Kind, kein einziges Elternteil wird sich von einem Verein vorschreiben lassen, welches Schulsystem besucht werden soll. Nur die Eltern und die Spieler entscheiden darüber.“ Bereits heute gingen VfB-Jugendspieler auf die Kolping-Akademie. Wie viele Talente dorthin wechseln, sei noch offen.

Der Schulleiter Bizer geht zwar davon aus, „dass die VfB-Schüler in den höheren Klassen am Wirtemberg-Gymnasium bleiben, um bei uns ihr Abitur zu machen“. Allerdings macht er sich keine Illusionen: „Die neuen VfB-Talente werden künftig nach Fellbach geschickt.“ Am mangelnden Erfolg könne die Entscheidung des VfB nicht liegen, stellt er fest: „In den vergangenen drei Jahren haben wir mit Kimmich, Baumgartl und Werner drei herausragende Fußballtalente herausgebracht – zwei übrigens mit einem sehr guten Abitur mit einer Eins vor dem Komma“, betont der Rektor.

Erfahrung spricht für die Eliteschulen

Die Erfahrung spricht für die Eliteschulen: Der Spagat zwischen Leistungssport und Schule gelingt dort am besten. Das sieht auch die Kultus- und Sportministerin so: „Die Eliteschulen blicken auf langjährige Erfahrung mit den speziellen Bedürfnissen dieser Talente zurück und halten flexible Lösungen vor. Sie bieten sehr gute Bedingungen, um Spitzenkarriere und schulische Laufbahn zu vereinbaren.“

Denn seit der Umstellung auf das achtjährige Gymnasium (G 8) haben die Talente noch weniger Zeit, ist ihr Tag noch enger getaktet. „Da wurde noch einmal etwas obendrauf gelegt“, sagt Rektor Bartels. Um das Lerntempo bei Schülern zu reduzieren, die dies benötigen, kooperiert seine Schule mit der Schickhardt-Realschule. Nach dem Abschluss dort könne danach das Abitur in drei Jahren gemacht werden.

Viele Sportler verlassen die Schule mit Bestnoten

Ähnlich flexibel handhabt es das Wirtemberg-Gymnasium. Ob G 8 oder G 9 – man könne nicht sagen, was besser wäre, so Bizer: „Ich bin ein Fan flexibler Maßnahmen, jeder Athlet ist anders.“ Bei den Fußballern hätte seine Schule „Purzelbäume vollbracht“, damit die duale Karriere gelinge. „Einem Kimmich, Baumgartl oder Werner hätte ein Zusatzjahr mit G 9 nichts gebracht: Sie sind zum richtigen Zeitpunkt Profifußballer geworden.“

Dass viele Leistungssportler trotz des hohen Pensums die Schule mit Bestnoten verlassen, bestätigen beide Schulleiter. „Mehr als die Hälfte unserer Einser-Abiturienten sind Leistungssportler. Viele Volleyballerinnen erhalten wegen ihrer herausragenden Leistungen Vollzeitstipendien in den USA“, sagt Bartels. Für die meisten Talente reiche es nicht zur großen Sportkarriere, dann müsse ein guter Schulabschluss die Grundlage für eine solide Berufslaufbahn bilden. Bartels: „Schließlich geht es nur im Fußball um Ferraris und Millionengehälter.“