Erstmals widmet sich eine Darstellung dem Leben der Wagner-Enkelin Friedelind. Eva Rieger erinnert mit ihrer Biografie an die Einzige der engeren Familie, die sich von Hitler abwandte und Bayreuth verließ.

Stuttgart - Seit ihrer Gründung 1878 führten die „Bayreuther Blätter“ im Namen Richard Wagners und der Festspiele einen Kampf gegen die Moderne. Udo Bermbach hat es in seinem im vergangenen Jahr erschienen Buch „Richard Wagner in Deutschland“ auf eindrückliche Weise dargestellt. Bayreuths Weg war einer in die Ideologie: Wagners falsche Freunde waren auf der Suche nach einer „anderen Moderne“. Nach Bermbach kam es für sie darauf an, „die richtigen Stichworte aus seinen Werken herauszuholen, um allem einen Dreh ins Rückwärtsgewandte zu geben und Bayreuth dort zu positionieren, wo es Wagner mit Sicherheit nicht haben wollte: im völkisch-nationalistischen Lager“.

 

Als Hitler Anfang 1933 an die Macht kam, standen Bayreuth und die Familie Wagner längst im Zentrum dieses völkisch-nationalistischen Lagers. 1923 besuchte Hitler erstmals Wahnfried, war ein gern gesehener Gast von Siegfried und Winifred Wagner, bald wechselten sie zum familiären Du. Richards Enkel Wieland, Friedeland, Wolfgang und Verena saßen auf Onkel Wolfs Schoß oder fotografierten sich gegenseitig, traulich beim Reichskanzler untergehakt. Hitler war der Vollstrecker von Wagners Willen, so sahen es die „Bayreuther Blätter“: „Es ist ein Kanzler da, der Wagner liebt, der Beziehungen zur deutschen Kunst hat, ein Mann, der die Kulturprobleme kennt, der sich nicht scheute, offen die Judenfrage anzuschneiden. Er hat damit Richard Wagner auf seiner Seite.“

Alle waren auf Nazilinie

Winifred sah es genauso; sie hatte nach dem Tod ihres Mannes 1930 die Festspielleitung übernommen. Hitler half dem klammen Familienunternehmen, wo er konnte. So wuchsen die zwischen 1917 und 1920 geborenen Wagner-Enkel auf: bei aller Individualität und dem durch den Namen eingegebenen Selbstbewusstsein waren sie auf Nazilinie. Bis 1938 – in diesem Jahr vollzieht eine, die 1918 geborene Friedelind, den entscheidenden Bruch mit der Mutter. Die Tochter verlässt aus Protest gegen Hitler und seine Politik Deutschland, geht nach Paris, in die Schweiz, dann nach England, wird dort mit Kriegsbeginn ein Dreivierteljahr interniert und gelangt mit Hilfe des Dirigenten Arturo Toscanini (mit dem sie später eine kurze Affäre hatte) in die USA, deren Staatsbürgerschaft sie einige Jahre darauf annimmt. Friedelind stellt sich damit als Einzige der Wagners gegen Hitler und den Nationalsozialismus.

Friedelind Wagners Autobiografie„Heritage of Fire“, ein Buch für die Uneinsichtigen zu Hause, das 1944 in den USA, ein Jahr darauf in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Nacht über Bayreuth“ in der Schweiz erschien, erzürnte nicht nur ihre Mutter und die Geschwister, sondern die stramm völkischen Wagnerianer, von denen nach 1945 genug übrig geblieben waren. Reichlich Stoff also, um dieses aufrechte Leben nachzuzeichnen. Eva Rieger legt jetzt eine überfällige Biografie vor („Friedelind Wagner. Die rebellische Enkelin Richards Wagners“) – nicht ohne ihre Skrupel zu formulieren, nämlich, ob es sich lohne, „das Leben einer Frau zu dokumentieren, die sich auf berühmte Groß- und Urgroßeltern berufen kann, aber kein Theater leitete, keine überragende Leistung im Sinne einer historischen Großtat hinterließ“.

Friedeling hat im Hintergrund gewirkt

Die Musikwissenschaftlerin, eine Verfechterin der Gender-Forschung, sieht ihre Arbeit dadurch gerechtfertigt, dass auch Friedelind eine jener Frauen war „die im Hintergrund agierten und dennoch Großartiges leisteten“. Rieger möchte die Lebensdarstellung nicht verengt sehen auf die „Skandalfamilie“ Wagner, nicht auf die Neuausrichtung der Festspiele nach dem Krieg, die Nachlassregelung. Das ist ehrbar, aber ihr Buch selbst liefert in weiten Teilen genau dies: eine Schilderung der Bayreuther Kalamitäten – und das zu seinem Vorteil. Die Wagner-Familie und die Festspiele sind eben die Konstanten, von denen Friedelinds Leben bestimmt ist. Exemplarisch an dieser Biografie ist keine künstlerische Leistung, sondern die politisch-ethische Aufrichtigkeit ihrer Protagonistin.

Die Wagner-Enkel wuchsen nach heutigem Maß geradezu ideal auf. Sie waren frei und ungezähmt, konnten ihren Interessen nachgehen, sie machten die Stadt unsicher und trieben ihre Scherze im Festspielhaus. So schlüpfte die sechsjährige Friedelind bei einer Generalprobe durch den Vorhang und trompete in den voll besetzten Saal: „Meines Vaters nächste Oper heißt ,Der Kuhwedel‘!“ Doch zunehmend wurde das Verhältnis zur Mutter schwieriger; ein Grund war der neue, und von Friedelind ungeliebte, Vormund der Kinder, Heinz Tietjen. Der Generalintendant der Preußischen Staatstheater war nicht nur künstlerischer Berater in Bayreuth, er war Winifreds Geliebter. Die Autorin ist allerdings in diesem Punkt zu diskret und macht es dem Leser durch Andeutungen nicht leicht, die Zusammenhänge zu entschlüsseln. Für Friedelind, die eine enge Bindung an den Vater Siegfried gehabt hat, muss der neue Lebensgefährte der Mutter schockierend gewesen sein. Ihre Mutter steckte sie etliche Jahre in autoritäre Internate.

Im Detail manchmal ungenau

Rieger, die sich erstmals auf die Auswertung von Friedelinds Nachlass stützen konnte, vermeidet jede psychologische Analyse und beschränkt sich auf Entfaltung der Fakten. Ein geringfügiger Einwand gegen Riegers Buch betrifft die Konsistenz der (chronologischen) Darstellung – da fehlte ein kundiges Lektorat. In Punkten, die auf der Hand liegen, dem zeitgeschichtlichen Kontext etwa, ist Rieger überausführlich, in nur Experten geläufigen Sachverhalten würde ein erklärender Halbsatz helfen: so tauchen plötzlich ohne Einführung Personen auf. Winifreds Kritik an den „Meistersingern“ ihres Sohnes bezieht sich auf seine zweite Inszenierung, wird aber im Zusammenhang mit der ersten zitiert. Und manches Ungenaue mehr.

Vielleicht war Friedelinds Schicksal, dass sie als Frau offen ihre Meinung gesagt hat, keine Rücksichten nahm und auf Erfüllung weiblicher Rollenbilder verzichtete. Alle vier Wagner-Enkel waren von Siegfried als gleichberechtigte Erben eingesetzt worden: doch die beiden Mädchen wurden von den Brüdern nach dem Krieg auf geradezu brutale Art und Weise von der Beteiligung an den Festspielen ausgeschlossen. Friedelind, die viele Jahre in Geldnöten steckte, scheiterte immer wieder mit eigenen künstlerischen Ambitionen. Ihre einzige Inszenierung, ein „Lohengrin“ in Bielefeld 1968, erhielt schlechte Kritiken, ihre Meisterkurse in Bayreuth, bei denen ein Walter Felsenstein unterrichtete, bekam sie finanziell und organisatorisch nicht in den Griff. Ihr paragrafenreitender Bruder Wolfgang, der dann mit Geld aushelfen musste, hatte sie so in der Hand.

Streit nur noch mit Anwälten

Obwohl sich die Wagners nach Wielands Tod 1966 weiter zerstritten – Familien- und Stiftungsratssitzungen fanden nicht ohne mehrere Anwälte statt –, der Bayreuther Alleinherrscher Wolfgang zeitweise der Mutter und Friedelind Hausverbot erteilte, fühlte sich die allem Neuen zugeneigte Friedelind Bayreuth verbunden und brach nie mit der Familie. Besonders ihre Neffen schlossen die komische Tante in den Hawaiikleidern in ihr Herz. Eine Einsame blieb sie, trotz vieler Freunde. Eine engere Liebesbindung zu einem Mann, einer Frau (in England hatte sie eine Liebesaffäre mit einer Sängerin) ergab sich nicht. Friedelind, die zuletzt in Luzern lebte, starb 1991. Ihre Asche wurde anonym verstreut.