Eine neue Biografie über Joachim Löw enthüllt nicht nur, warum der Bundestrainer einst nicht zum FC Bayern wollte. Sie liefert auch das Psychogramm eines Mannes, der nie nach Höherem gestrebt hat – und trotzdem (oder gerade deshalb) ganz oben angekommen ist.

Stuttgart - Die Herren tranken flaschenweise Rotwein, zwischendurch wurde Cognac gereicht. Dennoch gelang es ihnen zu vorgerückter Stunde, ihre Unterschriften unter einen Vertrag zu setzen. Einer Ablösezahlung von 550 000 Mark stimmte die von Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder angeführte Delegation des VfB Stuttgart zu; den Wechsel des 20 Jahre alten Fußballspielers Joachim Löw bewilligten im Gegenzug die Verhandlungsführer des SC Freiburg. Eine stolze Summe im Jahr 1980 – doch war Löw nicht irgendjemand, er galt als eines der größten Offensivtalente Deutschlands.

 

Allerdings beendete wenig später ein Schienbeinbruch die große Bundesliga-Karriere, ehe sie begonnen hatte. Und als Löw knapp zwanzig Jahre später als Jungtrainer zum VfB zurückkehrte, bewahrten ihn auch der Pokalsieg und der Einzug ins Europacup-Finale nicht vor der Entlassung. Dem noch immer amtierenden Präsidenten Mayer-Vorfelder war der Jogi nicht glamourös genug. Löw ging auf jahrelange Wanderschaft, sie führte ihn in immer tiefere Niederungen – und mündete schließlich doch noch in einer Weltkarriere.

Seit inzwischen 14 Jahren blickt die Nation auf Joachim Löw

Der märchenhafte Aufstieg des Sohnes eines Ofensetzers aus dem südbadischen Schönau zum Weltmeistercoach und ewigen Bundestrainer – er ist längst fester Bestandteil deutscher Sportgeschichte. Der Hamburger Autor Mathias Schneider (48) legt an diesem Freitag dennoch eine Biografie vor. Ein gewagtes Unterfangen bei einem Mann, auf den die Nation nun schon seit 14 Jahren blickt. Doch hat sich das Wagnis gelohnt: Schneider gelingt es in bislang nicht gekannter Tiefe, dem Menschen hinter dem Bundestrainer auf die Spur zu kommen.

Glücklicherweise begnügt sich der langjährige Nationalmannschaftsreporter des „Sterns“ und zuvor der Stuttgarter Zeitung nicht damit, die altbekannten Sommermärchen- oder Rio-Geschichten aufzuwärmen. Mindestens so wichtig wie Löws Wirken im Dienste der Nation sind ihm die 44 Jahre davor, in denen nichts darauf hindeutete, dass dieser Freigeist aus dem Schwarzwald eines Tages zu den bekanntesten Menschen Deutschlands gehören würde.

Der Kopfstoß im Flugzeug nach Stockholm

Mit unzähligen Weggefährten Löws an den unterschiedlichsten Orten hat sich der Biograf bei seinen Recherchen unterhalten: mit den Brüdern und den Jugendfreunden in Schönau, den Trainern und Mitspielern in Freiburg, Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe und der Schweiz, den Mitstreitern auf seinen Trainerstationen beim VfB, beim KSC, in der Türkei und Österreich, der deutschen Fußballprominenz wie Berti Vogts – oder auch dem früheren VfB-Reporter der StZ und heutigen Lokalchef unserer Zeitung Holger Gayer, den VfB-Star Krassimir Balakov während Löws Trainerzeit in Stuttgart im Flieger nach Stockholm mit einem Kopfstoß niedergestreckt hatte.

Auf spannende, höchst unterhaltsame Art werden ihre Geschichten und Anekdoten erzählt. Sie fügen sich zum Psychogramm eines Mannes, der nie nach Höherem gestrebt hat – und trotzdem (oder gerade deshalb) ganz oben angekommen ist.

Zwei Wochen DFB-Lehrgang? Seine Freundin war Löw wichtiger

Viel wichtiger als die Karriere ist Löw schon immer etwas anderes gewesen: die persönliche Freiheit und das eigene Wohlbefinden. Wie sehr sich dieses Leitmotiv durch sein ganzes Leben zieht, das kommt in Schneiders Buch eindrucksvoll zum Ausdruck. Als Jugendspieler brach Löw einen zweiwöchigen DFB-Lehrgang in Duisburg schon nach zwei Tagen ab, weil er die Zeit lieber zu Hause mit seiner ersten Freundin verbringen wollte. Ein Angebot des FC Bayern lehnte er mit 19 ab, weil München zu weit entfernt war von seinem geliebten Schwarzwald. Und größte Überredungskünste musste im Hotel Engel in Baiersbronn Jürgen Klinsmann unmittelbar nach der WM 2006 aufbringen, um seinen Assistenten davon zu überzeugen, die deutsche Fußball-Revolution als Chef fortzuführen.

„Will ich das wirklich, ein Leben als Bundestrainer, mit allen Konsequenzen?“, so fragt der Buchautor im Namen des Mannes, den es nie ins Rampenlicht zog. Löw entschied sich dafür – auch aus Dankbarkeit Klinsmann gegenüber: „Loyalität und Vertrauen“, so sagte er bei der Staffelübergabe, seien „am Ende des Tages vielleicht sogar noch wichtiger als nur das Berufliche.“

Wenig fällt Löw schwerer, als anderen Menschen weh zu tu

Es ist eine Einstellung, die ihm auch in mittlerweile mehr als zwölf Jahren als Bundestrainer nicht abhandengekommen ist. Sie erklärt zumindest in Teilen die desolate WM in Russland und den erst mit einiger Verspätung eingeleiteten personellen Umbruch danach. Es gibt nicht viele Dinge, auch das wird in Schneiders Buch deutlich, die dem Empathen Löw schwerer fallen, als vertrauten Menschen wehzutun. Irgendwann wird auch seine Zeit als Bundestrainer zu Ende gehen. Wie sein Leben, seine Karriere anschließend weitergehen?

Das ist eine Frage, mit der sich Löw auch im Alter von 58 noch nicht beschäftigt. „Früher oder später“, so beschließt Mathias Schneider seine Biografie, „wird der richtige Weg ihn schon finden.“