An den Aktienmärkten werden heute mehr denn je vage Zukunftsaussichten gehandelt. Auch wenn nicht absehbar ist, wie Facebook, Snapchat und Co. auf Dauer Geld verdienen wollen, stehen sie bei Anlegern hoch im Kurs.

Frankfurt - Deutsche Aktienanleger könnten mit dem Jahresauftakt durchaus zufrieden sein. Der Leitindex Dax hat einen neuen Höchststand erreicht und auch die Unternehmen haben trotz aller weltpolitischen oder weltwirtschaftlichen Wirren im ersten Quartal beste Ergebnisse abgeliefert. Bis auf die beiden großen Energieversorger konnten alle Dax-Konzerne ihren Umsatz steigern – insgesamt schafften sie ein Umsatzplus von neun Prozent auf knapp 346 Milliarden Euro – ein neuer Rekordwert. Der operative Gewinn stieg sogar um elf Prozent auf 37,4 Milliarden Euro, was ebenfalls einem neuen Höchststand entspricht, wie die Stuttgarter Unternehmenberatung EY in einer aktuellen Studie errechnet hat. Zwei Drittel der Unternehmen verzeichneten steigende Gewinne – die höchsten Gewinne fuhren im ersten Quartal zwei Autohersteller ein: Volkswagen erwirtschaftete ein Betriebsergebnis von 4,4 Milliarden Euro, bei Daimler waren es vier Milliarden Euro.

 

Und doch verliert die „Old Economy“, die seit Jahrzehnten weltweit etablierten Unternehmen, bei international anlegenden Investoren zunehmend an Bedeutung. Mag auch manche Übernahme, etwa in der Pharmaindustrie, heute Summen erreichen, die vor einigen Jahren unvorstellbar erschienen. Was bei den Internetkonzernen passiert, deren Geschäftsmodell für manche Beobachter nach wie vor nicht wirklich nachvollziehbar ist, ist bisher unerreichbar: Umgerechnet knapp 17 Milliarden Euro hat das soziale Netzwerk Facebook 2014 für den Chat-Dienst Whatsapp bezahlt. Das ist so viel, wie die Commerzbank an der Börse wert ist oder doppelt so viel wie die Lufthansa. Beide haben immerhin Filialen und Flugzeuge sowie tausende Mitarbeiter. Whatsapp dagegen hat 55 Angestellte. Das macht 309 Millionen Euro Unternehmenswert pro Mitarbeiter.

Es klingt absurd, zum Teil gar unfassbar. Bei Daimler können Investoren in etwa abschätzen, welchen Gewinn der Autohersteller machen wird, wenn die neue S-Klasse ein Erfolg wird. Ebenso können sie kalkulieren, was passiert, wenn das neue Modell floppt. Aber heute sind Anleger offenbar bereit, Kurse für Aktien zu zahlen, die nur auf Hoffnungen beruhen.

Snap macht jahrelang mehr Verluste als Umsatz

Der im März an die Börse gegangene Internetkonzern Snap, der hinter der Foto-App Snapchat steht, hatte schon vorher verkündet, dass man voraussichtlich einige Jahre lang mehr Verlust als Umsatz machen wird. Der Börsengang gelang dennoch, fast 25 Dollar (22,35 Euro) war das Papier am Ende des ersten Handelstages wert, der Ausgabekurs hatte bei 17 Dollar gelegen. Nachdem Snap im Mai seine Zahlen für das erste Quartal des laufenden Jahres vorlegte, schlug das Pendel jedoch weit nach unten aus. Zwischenzeitlich fand sich die Aktie gar nahe ihrem Ausgabewert wieder. Inzwischen steht sie mit rund 21 Dollar wieder etwas besser da.

Den Umsatz konnte das Unternehmen mit Sitz in Los Angeles zwar um das Vierfache auf 149,6 Millionen Dollar steigern, das war aber immer noch weniger als von vielen Analysten erwartet. Zudem stand ein Verlust in Höhe von sage und schreibe 2,2 Milliarden Dollar zu Buche.

Das scheint viele Anleger – vor allem Großinvestoren – derzeit aber nicht zu interessieren. „Es gibt keine Anlage-Alternativen zu Aktien, die etablierten Industrien bieten kaum noch Wachstumsfantasien, die dot.com-Unternehmen stehen hoch im Kurs“, sagt ein Börsianer in Frankfurt. Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Während früher auch Substanzwerte, etwa Immobilien, Maschinen oder langfristige Lieferverträge, zur Bewertung der Unternehmen an der Börse beigetragen haben, sind es heute in vielen Bereichen nur noch Zukunftshoffnungen. „Das erinnert schon sehr an den Neuen Markt“, sagt ein Analyst.

Auch damals, Ende des 20. Jahrhunderts, waren es vor allem die „Aussichten“, die die Anleger locken sollten. Egal wie lang der Weg bis zum Erfolg sein sollte, egal, wie viel Geld auf dem Weg dorthin nötig war, egal, wie gering die Chancen überhaupt waren. Und auch jetzt sind es vor allem Großinvestoren wie George Soros und andere Wall Street-Schwergewichte, die den „Neuen Markt 4.0“ beleben.

Manche Analyten warnen vor einer Spekulationsblase

Auch viele Analysten sind noch positiv gestimmt. Andere warnen bereits vor einer neuen Spekulationsblase: Die Großinvestoren könnten durch Zukäufe auf das Papier aufmerksam machen, die Aktie als aufgehenden Stern am US-amerikanischen Technologiehimmel gelten lassen, und am Ende, wenn immer mehr Anleger endlich auch jener Meinung sind und den Kurs in die Höhe getrieben haben, die eigenen Anteile verkaufen und Gewinne mitnehmen.

Bei vielen dieser jungen Unternehmen stellt sich die Frage, womit eigentlich Geld verdient werden soll. Facebook ist als Kommunikationsplattform international bei den Nutzern beliebt – aber woher kommt das Geld? Mit Whatsapp weltweit kommunizieren zu können, ist für den Nutzer angenehm – und für das Unternehmen? In beiden Fällen werden Daten verkauft, damit die Käufer ihre Werbung gezielter versenden können. Google, Facebook oder Apple sind finanziell so stark, dass sie aufstrebende Konkurrenten mit neuen Ideen mehrheitlich einfach aufkaufen. Ob ihr Geschäftsmodelle aber im Vergleich zur Old Economy, etwa der Automobilbranche oder der Ölindustrie, jahrzehntelang erfolgreich sein wird, muss sich noch zeigen. Bisher setzen die Anleger jedenfalls darauf.