Das Angebot der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg ist gut angenommen worden. Auch Impfskeptiker unter den älteren russischen Gemeindemitgliedern werden erreicht. Der Anteil der Erstimpfungen ist überdurchschnittlich.

Stuttgart - „Booschter ond B’such“: Ganz schwäbisch, vielleicht um jede Schwellenangst zu nehmen, war das Angebot formuliert, sich am Sonntag im Gemeindesaal der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) impfen zu lassen. Zum ersten, zweiten oder dritten Mal, dem Booster. Eine Einladung ausdrücklich an alle, IRGW-Gemeindemitglieder und deren Angehörige ebenso wie Interessierte und Freunde der Gemeinde. Und obendrein mit der Aussicht, dass nach dem Piks noch eine Belohnung winke: ein Besuch der Synagoge, fachkundig geführt von Rabbiner Yehuda Pushkin.

 

„Großartig“, fand Ursula Knödler, die den Termin im Internet entdeckt hatte und nun mit Martin Boksch, Sohn Florin, 13 Jahre alt, der Freundin Petra Käser und deren zwölfjährigem Sohn Michael aus Echterdingen in die jüdische Gemeinde in der Hospitalstraße gekommen war. Alle holten sich bei der Ärztin Christina Eesmann vom mobilen Impfteam des Klinikums Stuttgart die dritte Impfung ab. „Wir waren noch nie in der jüdischen Gemeinde und wollten diese Gelegenheit nutzen“, sagt Martin Boksch. Umso mehr, als die beiden Buben, Siebtklässler in der Gemeinschaftsschule in Bernhausen und im Philipp-Matthäus-Hahn-Gymnasium in Echterdingen, für den Religionsunterricht Informationen über das Judentum brauchen.

Bei den älteren russischen Gemeindemitgliedern gibt es Ängste

Unter den 613 Geboten in der Tora für gläubige Juden findet sich auch Pikuach Nefesh, das Gebot, dass der Schutz des menschlichen Lebens immer vorgehe. Da ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch Nelly Pushkin, die Frau des Rabbiners, mit ihrer 15-jährigen Tochter Miriam diese Gelegenheit für die dritte Impfung wahrnimmt.

Angesprochen sollten sich aber auch jene Gemeindemitglieder fühlen, für die Hinweise auf der Einladung in kyrillischen Buchstaben zu lesen sind: die Zuwanderer aus der GUS, die seit den 90er Jahren die Gemeinde zur heutigen Größe haben anwachsen lassen und Russisch als zweite Sprache etablierten. „Die meisten unserer Gemeindemitglieder sind geimpft und bis auf wenige Ausnahmen alle nicht infiziert gewesen“, betont Barbara Traub, die gerade wieder mit Michael Kashi und Mihail Rubinstein in den IRGW-Vorstand gewählt wurde. Aber bei den älteren russischen Gemeindemitgliedern herrsche teilweise immer noch Angst vor der Impfung. Nach dem Motto, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten kommen, hat Dagmar Bluthardt, die Leiterin des IRGW-Sozialdienstes, diesen Impftermin in der Gemeinde organisiert: „Das Gesundheitsamt hat sofort auf meine Anfrage und Bitte reagiert und zugesagt.“ Weil alles getan werden muss, um die Impflücke zu schließen. Denn mit 66,2 Prozent hat sich die im Vergleich niedrige Impfquote in Stuttgart seit Dezember (64,1 Prozent) nur geringfügig erhöht.

Konzertpianistin lässt sich boostern

Hilft es, wenn der Berg zum Propheten kommt? Offenbar schon. Natalja Mayslas, Krankenschwester, hat ihre Mutter Bella zur ersten Impfung hierher begleitet. „Aber nur, weil es die Umstände erfordern“, macht sie ihre eigenen Vorbehalte klar. Sie hätte den russischen Impfstoff Sputnik bevorzugt, „er beeinflusst im Unterschied zu den hiesigen Vakzinen nicht die DNA“, glaubt sie. Aber Sputnik sei „aus politischen Gründen“ nicht zugelassen.

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„Es ist schön, sich sozusagen in den eigenen vier Wänden impfen zu lassen“, strahlt Margarita Volkova. Die Konzertpianistin, die regelmäßig die Konzerte mit den Preisträgern des Karl-Adler-Jugendmusik-Wettbewerbs organisiert und selbst viele Klavierschüler ausbildet, hat dafür eigens einen früheren Boostertermin abgesagt.

25 Prozent der Dosen waren Erstimpfungen

90 Biontech-Impfdosen hat das mobile Impfteam des Klinikums Stuttgart bereitgehalten, 70 wurden verwendet. „Etwa 25 Prozent davon für Erstimpfungen“, konstatiert Ärztin Christine Eesmann und nennt diese Quote „erstaunlich hoch“. Es habe sich also „ausgezahlt, dass wir dieses Angebot gemacht haben“, freut sich Dagmar Bluthardt.

Und Florin und Michael können demnächst im Religionsunterricht beim Thema Judentum brillieren. Denn Rabbiner Yehuda Pushkin lässt sie in das Allerheiligste des Tora-Schreins sehen und beantwortet jede Frage. Auch die von Florin, warum die Buben eigentlich beschnitten werden. „Weil es ein Gebot ist“, antwortet der Rabbiner, „das Zeichen der Verbundenheit mit dem Ewigen.“