Wegen neuer Gesetze schließt die Stadt alle fünf Bordelle. In der Praxis sind die Vorschriften aber schwer durchsetzbar.

Leonberg - Geschlossen war gestern. Diana gibt gerne Auskunft, auch wenn sie bittet, langsam zu sprechen. Die Dame aus Tschechien arbeitet in einem Haus am Rand eines kehrwochengepflegten Wohngebiets. Nebenan trinken die Nachbarn im Garten Kaffee. Ein Stück die Straße hinab läuten Kirchenglocken. Der Arbeitsplatz von Diana und ihrer Kollegin ist formal ein „Massage-Fachhandel“. Ein verwinkelter Bretterzaun verhindert den Blick auf Gäste an der Haustür. Die Fenster sind verklebt.

 

Es ist eine jener Adressen, deren halbmeterhohe Hausnummern – oft in Rot – weithin sichtbar sind. Bordellbetreiber kürzeln die Namen ihrer Betriebe gerne aus der Adresse zusammen, etwa in der Marienstraße. Dabei sind sie eigentlich zu.

Stadt beruft sich auf Prostituiertenschutzgesetz

Die Schließung aller fünf Bordelle in Leonberg hatte zum Jahreswechsel großes Aufsehen erregt. Die Stadt hatte sich auf das neue Prostituiertenschutzgesetz berufen, das vor einem Jahr in Kraft getreten ist. Demnach müssen unter anderem sämtliche Räumlichkeiten eines Bordellbetriebs von innen zu öffnen und mit Notrufsystem ausgestattet sein. Auch dürfen die dort tätigen Frauen in ihren Arbeitszimmern nicht gleichzeitig schlafen und wohnen.

In der Berliner Straße lockten bis Ende 2017 die „Kaisergirls“. Inzwischen hat der Betrieb umfirmiert. Drei Damen in Leder und Latex bieten in einem Häuschen inmitten eines wuchernden Gartens Dienste für ungewöhnliche Geschmäcker an. Sie inszenieren einen Klinikbetrieb nah an der Wirklichkeit einschließlich medizinischer Werkzeuge, deren Verwendung Patienten üblicherweise auszuweichen versuchen.

Offiziell weiß die Stadt von nichts. „In Leonberg gibt es derzeit keinen genehmigten Bordellbetrieb“, erklärt der Ordnungsbürgermeister Ulrich Vonderheid (CDU) auf Anfrage unserer Zeitung. Womit er nicht ausschließt, dass es dennoch Damen gibt, die ihre Dienste anbieten: „Von eventuell ungenehmigten Bordellbetrieben hat die Stadtverwaltung keine Kenntnis.“

Keine Handhabe gegen Wohnungsprostitution

Ein Blick auf die Homepage zeigt, dass verschiedene Etablissements ganz normal ihre Öffnungszeit angeben. Allein bei den erwähnten Kaisergirls findet sich der Vermerk „dauerhaft geschlossen.“ Und auch das Haus an der Alten Ramtelstraße hat zu.

Gegen Wohnungsprostitution kann die Stadt formal nicht vorgehen. Gemäß der alten Gesetzeslage war es Privatsache, wen Frauen hinter ihrer Wohnungstür zu welchen Bedingungen empfingen. Diese Regeln wurden verschärft. Die Ausnahme gilt nur noch, wenn eine einzelne Frau in ihrer eigenen Wohnung Freier empfängt, ohne dass ein anderer profitiert – auch nicht der Vermieter oder Untervermieter.

Theoretisch müssten alle Stuttgarter Bordelle schließen

Auch die Stadt Stuttgart tut sich schwer, die neuen Regeln durchzusetzen. „Wir sind nicht so weit, wie wir Anfang des Jahres dachten“, sagt Benno Bartosch vom Ordnungsamt. 137 Bordelle sind auf Bauvorschriften und die charakterliche Eignung ihrer Betreiber zu überprüfen, und nicht jeder lässt die Prozedur willig über sich ergehen. Dabei „sind wir auch mal bereit, ein Auge zuzudrücken“, sagt Bartosch.

Oder beide. Dazu steht eine Grundsatzentscheidung aus. Nicht nur die Landeshauptstadt, aber zuvorderst sie, ließ die Branche in einer Grauzone erblühen. Genehmigt ist kein einziges Bordell. Ungeachtet dessen existiert eine Reihe von ihnen seit Jahrzehnten weitgehend unbehelligt. Bei einer strengen Auslegung der neuen Gesetze müssten alle Betriebe schließen.

Prostituierte sollen geschützt werden

„Wir müssen überlegen, wie wir damit umgehen“, sagt Bartosch. Abgesehen von der Formalität spreche wenig für den Radikalschnitt: „Schließlich ist das Ziel des Gesetzes nicht die Prostitution zu unterbinden, sondern die Prostituierten zu schützen.“ Vom Baurecht abgesehen, seien nur im Einzelfall Gründe erkennbar, die Schließungen rechtfertigen würden. Allerdings sind erst knapp die Hälfte der Bordelle erfasst. Wann die Bescheide verschickt werden, ist laut Bartosch nicht absehbar.

Im Gegensatz zu der Reaktion derjenigen, die womöglich einen Schließungsbescheid bekommen: Die Branche hat vielfach ihre Klagefreudigkeit bewiesen. Bartosch ahnt, dass die Betroffenen argumentieren werden, „dass es ihre Betriebe seit Jahrzehnten gibt und das nie ein rechtliches Problem war“ – also gleichsam ein Gewohnheitsrecht einzuklagen versuchen.

Ab 50 000 Einwohner ist kein Verbot möglich

Vergleichbares ist auch in Leonberg zu erwarten. Dass die Stadt nach der Schließungswelle dauerhaft frei von Prostitution bleiben würde, war ohnehin eine Illusion. In Leonberg leben mehr als 48 000 Menschen. Ab einer Größe von 35 000 Einwohnern können Städte Bordelle kaum mehr verhindern, ab 50 000 ist ein Verbot unmöglich. Lediglich über die Adressen der Betriebe darf das Rathaus mitbestimmen.

Hinter vorgehaltener Hand wird daher über eine Art Rotlichtviertel an den Riedwiesen, fernab von Wohngebieten, nachgedacht. Offiziell sagt das aber keiner.

In der Szene wird die neue Behördenlinie als Gefahr für die Prostituierten gedeutet: „Ich habe immer darauf geachtet, dass den Mädchen nichts passiert und keine merkwürdigen Typen ins Haus kommen“, sagt eine Betreiberin, die ihren langjährigen Betrieb in Leonberg geschlossen hat. „Auch auf dem Nachhauseweg waren sie sicher. Nun sind sie auf sich allein gestellt. Da kann viel passieren.“