Serbische Mutter, muslimischer Vater: ein Baby in Srebrenica schafft es in die Schlagzeilen.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Srebrenica - Das Kind der Hoffnung Srebrenicas ist blond. Es ist 42 Tage jung, gähnt und blinzelt routiniert in die Linse der Kamera. Von unzähligen Journalisten sei ihr kleiner Jusuf seit seiner Geburt schon besucht und beäugt worden, berichtet Mutter Dusica stolz lächelnd. Denn ihr Sohn sei der Beweis, dass auch in Bosnien-Herzegowina Muslime und Serben zusammenleben könnten: „Das Einzige was zählt, ist die Liebe. Sie gewinnt immer.“

 

Zwischen von Einschusslöchern zersiebten Kriegsruinen grasen vor der Veranda die Ziegen. Auch Angehörige von Almir Salihovic liegen unter den weißen Grabstelen auf dem nur wenige Hundert Meter entfernten Gedenkfriedhof von Potocari begraben. Sechs Onkel hatte der heute 32-Jährige nach der Einnahme der damaligen muslimischen Enklave Srebrenica im Juli 1995 durch die bosnisch-serbischen Truppen des mittlerweile im Gefängnis des UN-Kriegsverbrechertribunals einsitzenden Generals Ratko Mladic verloren: Mehr als 8000 muslimische Männer wurden in den Tagen nach dem Fall der Enklave von den Eroberern exekutiert – und in Massengräbern verscharrt. Selbst rettete den damals 16-Jährigen nur sein bis heute sehr junges Gesicht: Gemeinsam mit seiner Mutter konnte Almir damals Srebrenica in dem von den UN eskortierten Buskonvoi für Frauen und Kinder verlassen.

Liebe auf den ersten Blick

Die Wirren der Jugoslawienkriege hatte in den 90er Jahren auch die Familie von Dusica Rendulic vollkommen entwurzelt. Geboren wurde die Serbin im kroatischen Dorf Sveti Rok. An die Vertreibung ihrer Familie gegen Ende der kroatischen Kämpfe hat die heute 23-Jährige keine bewusste Erinnerung mehr: „Ich war damals ein kleines Kind, ich kenne den Krieg nur aus späteren Fernsehdokumentationen.“ Bis zu ihrem 15. Lebensjahr wuchs sie in einem Flüchtlingslager in einer westserbischen Provinzstadt auf, bevor sie zu Angehörigen in der bosnischen Kleinstadt Pozarnica nahe Tuzla übersiedelte. Dort lernte die Landarbeiterin im Herbst 2010 den damaligen Schäfer Almir kennen: „Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich wusste gleich, dass er der Richtige ist.“

Der Krieg hatte das Leben der Familien von Almir und Dusica zerstört – und dessen Folgen die beiden Flüchtlingskinder beim Schafehüten zusammengebracht. Ihre unterschiedliche Religion und ethnische Herkunft haben den im vergangenen Jahr nach Srebrenica zurückgekehrten Muslim und die serbisch-orthodoxe Christin mit dem kroatischen Pass noch keinen Moment gestört. „Wir verstehen uns gut – und leben wunderbar zusammen“, sagt Dusica. Weniger begeistert reagierten zunächst vor allem Almirs Angehörige auf das multiethnische Liebesglück. Anfangs habe es in seiner Familie „etwas Bedenken“ gegeben, doch als seine Angehörigen Dusica kennengelernt hätten, sei die Skepsis rasch verflogen, berichtet der Familienvater. „Spätestens seit der Kleine da ist, kommt die Familie von Almir uns sehr gerne besuchen“, erzählt Dusica lächelnd.

Multiethnisches Familienglück

Die Geburt des ersten Kindes eines serbisch-muslimischen Paares in Srebrenica seit dem Krieg schafft es nicht nur im Vielvölkerstaat Bosnien-Herzegowina, sondern in allen Ländern des zerfallenen Jugoslawien in die Schlagzeilen. Überwiegend wurde die Nachricht vom multiethnischen Familienglück zwar positiv kommentiert, doch auch zwei Jahrzehnte nach Ausbruch des Bosnienkriegs leben nationalistische Vorbehalte noch immer fort. Gemischte Ehen würden die Nation der muslimischen Bosniaken „zerstören“, warnten die Macher der Website „Wir erinnern an den bosnischen Völkermord“ vor einer drohenden „Assimilierung“. Serbische Surfer wiederum monierten, dass der kleine Jusuf als Muslim erzogen werden soll. „Die Islamisierung der Serben hält an“, erregte sich auf der Seite des serbischen Boulevardblatts „Kurir“ ein anonymer Marko.

Almir und Dusica respektieren gegenseitig ihren Glauben

Nur im Internet habe es „etwas merkwürdige Reaktionen“ gegeben, berichtet Duzica. Sie selbst sei in Srebrenica gut aufgenommen worden, versichert sie: „Es ist zwar schon ein trauriger Ort, aber die Menschen hier sind völlig in Ordnung.“ Was die Leute über ihn reden, interessiere ihn nicht, sagt Almir: „Ich lebe mein Leben – und andere sollen das ihre leben.“

Zumindest die Nachbarin kann über die wegen der fehlenden Scheidungspapiere von Dusica noch in wilder Ehe zusammenlebenden Almir und Dusica nur Gutes berichten. Es sei nicht wichtig, dass die beiden verschiedenen Glaubens seien, sagt die alleinerziehende Mutter: „Die beiden leben sehr harmonisch zusammen – und streiten sich nie.“ Ob Bajram oder Weihnachten – in der Familie sollten alle muslimischen und christlichen Festtage gefeiert werden, sagt Dusica: „Almir respektiert meinen Glauben – und ich den seinen: Sobald Jusuf ein wenig größer ist, will ich endlich einmal eine Moschee besuchen.“

Eine österreichische Hilfsorganisation zahlt ein Haus und Ziegen

Zur Geburt von Jusuf erhielt die mittellose Rückkehrerfamilie im Februar von der österreichischen Hilfsorganisation Bauern helfen Bauern eine großzügige Starthilfe: Ein Holzhäuschen mit Stall und drei Ziegen. Der meckernde Familienbesitz hat sich seitdem zwar bereits verdoppelt, aber dennoch blickt Almir eher sorgenvoll in die Zukunft. In dem von 37 000 auf 7000 Einwohner geschrumpften Srebrenica gebe es kaum Aussicht auf einen Job: „Ob Muslime, Serben oder Roma, alle haben hier dasselbe Problem: keine Arbeit.“ An die begehrten Stellen bei der Gemeindeverwaltung oder in den wenigen Fabriken könne man „nur mit politischen Beziehungen“ gelangen: „Und die habe ich nicht.“ Bei der Frage, ob er die Hoffnung hege, dass Jusuf in der entvölkerten Stadt einmal ein besseres Leben führen werde als seine Eltern, zuckt der Vater mit den Schultern: „Niemand weiß, was werden wird.“ Mit Landbau hofft Almir, seine Familie über Wasser zu halten – auch wenn ihm dazu noch die richtige Gerätschaft fehlt.

Über Bosniens Politiker, die nicht zuletzt aus eigenem Interesse die Kriegsanimositäten zwischen den Volksgruppen fleißig am Köcheln halten, weiß der sonst so gutmütige Jungbauer derweil keine guten Worte zu verlieren: „Die sind nur an ihren Posten interessiert – und sonst an nichts.“ Klar werde man in Srebrenica „auf Schritt und Tritt“ an den Krieg erinnert, räumt er ein: „Aber was war, das ist geschehen. Man muss sich über die Vergangenheit auch hinwegsetzen können und nach einer besseren Zukunft streben. Denn ob Muslime oder Serben – wir sprechen die gleiche Sprache und sind die dieselben Menschen.“