Boxerfilme erzählen vom proletarischen Traum: dass man es mit dicken Muskeln und hoher Schmerztoleranz nach ganz oben schaffen und sich dort auch halten kann. „Southpaw“ fragt wie viele Filmklassiker vor ihm, wie viel man für diesen Aufstieg eigentlich einstecken muss.

Stuttgart - Einen Boxkampf, der keinen Schaden anrichtet, gibt es nicht. Kampfsport ist stets mit Risiken verbunden – und der Boxweltmeister Billy Hope gehört nicht zu denen, die Risiken minimieren. Rücksichtlos nutzt er den eigenen Körper, auch den vom Helm nur unzureichend geschützten Kopf, um den Gegner übermütig werden zu lassen: Nach einer Folge gelandeter Treffer gibt der die Deckung auf. Dann haut Billy (Jake Gyllenhaal), der zu diesem Zeitpunkt schon ein verquollenes Gesicht hat und kaum noch aus den Augen schauen kann, kräftig zu.

 

Die Hauptfigur von „Southpaw“ ist Berserker, Schmerzensmann, Depp und Romantiker in einem. Er glaubt noch daran, dass man als einzelner Kerl immer härter sein kann als die Verhältnisse ringsum. Seine Frau Maureen (Rachel McAdams) glaubt das nicht mehr. Glück, weiß sie, ist nicht wie Billys Tätowierungen, die dauerhaft bleiben. Jeder weitere Schlag könnte ihren Mann verkrüppeln oder töten.

Auf engem Raum

Boxen findet auf begrenztem Raum statt. Man kann nicht weit nach hinten ausweichen, hat schnell die Seile im Rücken. Das Gleiche gilt für den Boxerfilm, wenn er sich auf diese Verdichtung der menschlichen Bemühungen auf ein kleines Geviert einlässt. Zum einen spielen viele Szenen eben in diesem Ring, zum anderen bleibt das Leben der Protagonisten auf die Kämpfe und deren Umfeld konzentriert: aufs korrupte Wettmilieu und Stress mit Gangstern, die Mühen des Trainings und die Belastung der Beziehungen.

Geschrieben hat „Southpaw“ Kurt Sutter, der mit seiner Rocker-TV-Serie „Sons of Anarchy“ zu Ruhm kam. Sutter will keinen Moment Neuland betreten, er arbeitet mit Genreelementen. Dabei verzichtet er jedoch auf das fette Pathos der „Rocky“-Filme: unbeugsamer Held prügelt sich nach oben und bleibt ein guter Kerl. Und er setzt auch die den amerikanischen Traum hart konterkarierende Noir-Bitternis vieler Boxer-Klassikern nur in geringen Dosen ein: in Robert Rossens „Body and Soul“ von 1947 etwa erweist sich die Boxwelt noch als entfesselte Gewinnmaschine des organisierten Verbrechens.

Eine Folge von Schlägen

Diese Zurückhaltung hat ihm von Kritikern in den USA den Vorwurf eingebracht, einen oberflächlich reizvollen, aber hohlen Film geliefert zu haben. Unbestreitbar ist, dass die Oberflächenreize stimmen. Jake Gyllenhaal hat für die Rolle nicht nur an Muskeln zugelegt, nein, sein schwerer Gang suggeriert zudem noch mehr Körpermasse, als er real zu bieten hat. Er lässt ein stures, jähzorniges Gemüt allen Intellekt überstrahlen, wirkt bauchgetrieben, ohne sich tadelnd neben seine Figur zu stellen: Gyllenhaal lebt da förmlich etwas aus.

Der Regisseur Antoine Fuqua hat schon oft von Männern erzählt, die sich in der Stadt wie im Dschungel bewegen müssen. Seine dynamische Inszenierung hält innerhalb wie außerhalb des Rings in Erinnerung: Billy Hopes Leben besteht aus einer Folge von Schlägen. Auch der Kameramann Mauro Fiore („Avatar“) liefert feine Arbeit ab, was nicht leicht ist, weil er sich mit den Besten messen muss: Martin Scorseses „Raging Bull“ war eine der denkwürdigen Arbeiten des Kameramanns Michael Chapman („Taxi Driver“), Rossens „Body & Soul“ gar von Altmeister James Wong Howe fotografiert, der selbst als Profiboxer im Ring gestanden hatte.

Ein Seitenblick auf Trump

Aber ist „Southpaw“ hinter dem Bilderwirbel wirklich erzählerisch so banal wie ein x-bebliebiges Match nachts im Fernsehen? Sutter hält gewiss alles übersichtlich. Billys Frau kommt zu Tode, das Jugendamt nimmt dem Boxer die Tochter weg, der Mann schmiert ab, es ist nicht sicher, ob sein abgeklärter Trainer (Forest Whitaker in einer starken Rolle) ihn noch einmal stabilisieren und der nächste Kampf auch nur in die erste Runde gehen kann.

Die Ideologie der Härte

Aber man muss sich nur Donald Trumps erfolgreich angelaufenen Vorwahlkampf ums Weiße Haus in den USA anschauen, um den Sinn so einer eigentlich schlichten Erzählung zu begreifen: Trump wird wegen seiner Erfolgsprotzerei und seiner Loblieder auf rücksichtslose Härte selbst von konservativen Kommentatoren verachtet, liegt in den Umfragen bei republikanischen Stammwählern aber vorn. „Southpaw“ lässt sich nun auf solchen Sozialdarwinismus ein – und zeigt aber den Starken, den Harten, den zu allem Bereiten, wie er zusammenbricht.

Nur kommt dann auch hier wie in den meisten Boxerfilmen der irrationale Moment, ab dem wir doch wieder mitfiebern, der entscheidende Kampf möge gewonnen werden – als sei das System letztlich doch fähig, gute Ergebnisse zu bringen.

Southpaw. USA 2015. Regie: Antoine Fuqua. Mit Jake Gyllenhaal, Rachel McAdams, Forest Whitaker, 50 Cent, Naomie Harris. 125 Minuten. Ab 12 Jahren.