Die Polizei sucht in den Ruinen nach Erklärungen für den Großbrand. Noch ist unklar, wie es zu dem Feuer kommen konnte. Doch die Stimmen werden lauter, dass zu viele Menschen in dem Gebäude gelebt hätten.

Region: Corinna Meinke (com)

Nürtingen - Auch Tage nach der Nürtinger Brandkatastrophe ist noch völlig unklar, wie es zu dem Ausbruch des Feuers in dem privaten Wohngebäude kam, bei dem zwei Männer ihr Leben lassen mussten und 18 Bewohner obdachlos wurden. „Wir ermitteln in alle Richtungen“ erklärte der Polizeisprecher Michael Schaal. Anhaltspunkte für eine Brandstiftung gebe es allerdings bisher keine. Inzwischen hat die Polizei eine 19-köpfige Ermittlungsgruppe am Esslinger Standort der Kriminalpolizei eingerichtet.

 

„Der Fall ist sehr komplex. Wir müssen viele Vernehmungen durchführen und zahlreiche Spuren sichern“, auch deshalb sei eine so große Zahl an Beamten involviert, sagte Schaal. Seit Dienstag habe ein Gutachter des Landeskriminalamtes seine Arbeit im zweiten der beiden betroffenen privaten Brandhäuser aufgenommen. Dort war am Montagnachmittag ebenfalls ein Feuer ausgebrochen, das weitere Bewohner obdachlos gemacht hat. Der Gutachter unterstütze die Kriminaltechniker aus Esslingen, die ebenfalls in den beiden Gebäuden ermitteln. Untersucht werde auch, ob es einen Zusammenhang zwischen den beiden Bränden gibt.

Das erste Gebäude in der Nürtinger Schafstraße, das bereits am Sonntagabend in Flammen aufging, müsse zunächst im verwüsteten Ober- und Dachgeschoss statisch gesichert werden. Erst danach könnten die Beamten die schwer beschädigte Brandruine betreten.

Die Polizei werde sich auch eingehend mit der Nutzung der beiden Häuser beschäftigen. Dabei gehe es auch um die Fragen, wie viele Menschen dort wohnen durften und wie viele dort tatsächlich gewohnt haben.

Konnte der Brandschutz überhaupt gewährleistet werden?

Inzwischen wird in Nürtingen längst darüber diskutiert, ob in den beiden herunter gekommenen Häusern, die sich in Privatbesitz befinden und die privat vermietet sind, zu viele Menschen auf zu engem Raum und womöglich sogar unter prekären Umständen untergebracht waren. Gefragt wird auch, ob angesichts von voll gestopften Wohnungen der Brandschutz überhaupt gewährleistet werden konnte. Von jeweils bis zu 20 Bewohnerinnen und Bewohnern pro Haus ist hier die Rede. Die dichte Belegung in den Häusern ist auch der Nürtinger Verwaltung bekannt. Wie viele Bewohner dort jeweils gemeldet sind, ist Gegenstand der laufenden Untersuchungen und deshalb wohl immer noch unklar.

„Wir kennen jede Menge prekärer Unterbringungsverhältnisse, die reichen vom renovierten Altbau bis zum Abbruchhaus, da wird richtig viel Geld raus gepresst“, berichtet Peter Gerecke. Der Abteilungsleiter der Wohnungslosenhilfe der Evangelischen Gesellschaft (Eva), der für den Kreis Esslingen und die Stadt Stuttgart zuständig ist, spricht von unseriösen Praktiken mancher Vermieter, die die Not von wirtschaftlich schlecht gestellten Wohnungssuchenden ausnutzten.

Ruf nach günstigem Wohnraum wird lauter

Solche Bezieher von Wohngeld hätten auf dem leer gefegten Wohnungsmarkt keine Auswahl, denn angesichts teurer und ständig steigender Mieten, könnten sie sich eine normale Wohnung gar nicht leisten. Häufig landeten sie in Wohngemeinschaften, in denen der Vermieter mit jedem Bewohner Einzelverträge abschließen könne – das bringe das meiste Geld. Gerecke fordert die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften auf, endlich mehr günstigen Wohnraum zu schaffen. Allerdings sei das komplexe Thema nicht so einfach zu lösen. Immerhin biete die Eva in Nürtingen in eigenen Immobilien in der Stuttgarter Straße zwei Wohngruppen mit acht großzügigen Zimmern für Menschen an, die beispielsweise von Obdachlosigkeit durch eine Räumungsklage bedroht sind.

Erfreulich und konstruktiv verlaufen seien erste Gespräche mit dem Gemeinderat und der Nürtinger Verwaltung bei einem Besuch im örtlichen Tagestreff der Eva für Menschen in sozialen Notlagen. Über den Bedarf an günstigem Wohnraum sei man sich einig. Das bestätigt auch Regine Glück, die die Nürtinger Liste/Die Grünen im Gemeinderat vertritt. In den vergangenen 16 Jahren sei beim Thema sozialer Wohnungsbau in Nürtingen fast nichts passiert, auch weil die Kommune zu wenig Grundstücke und häufig kein Vorkaufsrecht besitze