Figuren wie der Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg oder der Amazon-Chef Jeff Bezos stehen für Visionäre, die für die große Sache Opfer fordern. Doch der Kult um die Monomanen bröckelt. Das man auch auf der Dreamforce in San Francisco, einem der weltweit größten Treffen der Cloud-Branche.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

San Francisco - Liebe und Vertrauen, Liebe und Glück, Liebe und Zuwendung: Die Sinnsprüche, die zur Einstimmung auf den Großbildschirmen im Ballsaal des Moscone-Konferenzzentrums im Herzen von San Francisco aufscheinen, könnten kaum kuscheliger sein. „Wie man die richtigen Mitarbeiter anzieht, einstellt und behält,“ lautet das Motto der Veranstaltung. Doch die zwei Männer um die Dreißig auf der Bühne reden lieber über die adrenalinhaltigen Aspekte des IT-Welteroberungsgeschäfts. Aaron Levie, Mitgründer der Cloudplattform Box, erzählt dem Moderator Steve Loughlin vom Cloud-Konzern Salesforce, wie er mit seinem einstigen Kumpel aus der Mittelschule Mitte zwanzig begann, das große Ding aufzuziehen.

 

Was mit einer eingeschworenen Gemeinschaft von 15 Mitarbeitern begann, ist binnen zehn Jahren auf 1300 Mitarbeiter weltweit angewachsen – eine fast klischeehafte Erfolgsstory. Was denn die gemeinsamen Werte für das Mitarbeiter-Team seien, fragt Loughlin, der mit dem Spruch „Habe den Mut zur Großartigkeit!“ an einigen Stellen des Messegeländes von Plakaten lächelt. „Arbeite so, dass deine Mama stolz auf dich sein könnte“, antwortet Levie. Es muss eine Über-Mama sein, denn das ehrgeizige Ziel ist klar: „Wir sind ganz auf die Eroberung von Marktanteilen fokussiert,“ sagt der Firmengründer. „Wer von den Mitarbeitern da nicht reinpasst, der jätet sich selber aus“, sagt er – und benutzt das Wort für die Beseitigung von Unkraut.

Die IT-Mitarbeiter sind zu 75 Prozent männlich

So ist das Silicon Valley groß geworden: Figuren wie der Apple-Gründer Steve Jobs, der Tesla-Entrepreneur Elon Musk, der Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg oder der Amazon-Chef Jeff Bezos stehen für Visionäre, die für die große Sache Opfer fordern. Doch der Kult um die Monomanen bröckelt selbst in den USA. Das ist auch auf der Dreamforce, einem der weltweit größten Treffen der Cloud-Branche zu spüren. Hier steht eine erkleckliche Zahl von Events zu Diversität, Mitarbeitermotivation und Unternehmenskultur auf dem Programm.

Stephanie Lampkin, eine afroamerikanische Gründerin, die als Bewerberin bei Google trotz eines Abschlusses an der Elite-Uni Stanford als „zu wenig technikaffin“ abgelehnt wurde, präsentierte etwa eine selbst entwickelte Antidiskriminierungs-App. Sie soll dank eines Filter-Algorithmus gewährleisten, dass nicht nur diejenigen zum Vorstellungsgespräch geladen werden, die zum Korpsgeist einer Technikertruppe passen. „Die Verantwortlichen stellen oft unbewusst immer nur Leute ein, die ihnen ähnlich sind“, sagt Lampkin. Die Mitarbeiter der US-IT-Riesen sind heute zu 90 Prozent weiß oder asiatisch und zu 75 Prozent männlich.

Insbesondere Steve Jobs und Jeff Bezos haben in jüngster Zeit in der US-Öffentlichkeit einige Schläge hinnehmen müssen: Ein aktueller Dokumentarfilm des Regisseurs Alex Gibney mit dem Titel „Der Mensch in der Maschine“ ist der ambitionierte Versuch, den Säulenheiligen Jobs vom Sockel zu stoßen. Und Mitte August hat ein kritischer Beitrag in der New York Times über die darwinistische Leistungskultur bei Amazon mit mehr als 6000 Leserkommentaren die größte Zahl an Reaktionen provoziert, die das Blatt je auf einen Artikel erhalten hat.

Gourmetverpflegung – eine branchenübliche Nettigkeit

Zwar rechtfertigten anschließend in einem Expertenforum einige Gastautoren den harten Kurs. „Amazon fordert seinen sorgfältig ausgewählten Talentpool eben dazu auf, die Grenzen des Möglichen neu zu definieren“, schrieb die New Yorker Managementprofessorin Anat Lechner. Doch eine Mehrheit stieß der Amazon-Erfolgskult ab. War es Zufall, dass sich Amazon in San Francisco mit einer Veranstaltung unter dem Titel präsentierte „Wie wir das Dankeschön an die Mitarbeiter neu erfinden“?

Die Unternehmensberatung Deloitte hat allerdings festgestellt, dass die IT-Branche in den USA bei der Mitarbeitermotivation nur im Durchschnitt liegt. Gourmetverpflegung oder die Erlaubnis, den Hund mit zur Arbeit zu bringen, seien nicht der Punkt, sagte der Deloitte-Experte Josh Bersin in Anspielung auf branchenübliche Nettigkeiten: „Wir haben festgestellt, dass auch bei Firmen mit einem kargen Umfeld die Zufriedenheit hoch sein kann.“ Wichtiger sei es, wenn man Mitarbeitern bei Projekten Luft zum Atmen lasse.

Auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Innovation stellten zwei Managerinnen einige Thesen auf den Kopf, die permanenten Leistungsdruck rechtfertigen sollen. „Das Gerede, man müsse oft und früh scheitern, um am Ende weiterzukommen, ist Bockmist“, sagte Navrina Singh, Innovationschefin des Mobilfunk-Technologieanbieters Qualcomm: „Innovation funktioniert dann, wenn man Menschen auf Augenhöhe in einem Team zusammenbringt und ihnen Autonomie lässt.“ Und Catherine Courage von Docusign, einem US-Spezialisten für digitale Signaturen, widersprach dem Kult um die großen Technologie-Visionäre: „Innovation muss sich genauso oft von unten nach oben entwickeln wie von oben nach unten.“