Unter der Brücke an der Grenze der Stadtbezirke Mitte und Süd war ein Unort. Mit dem Verein Stadtlücken wollte die Stadtverwaltung das ändern. Nun gibt es verschärften Protest. Wie soll es nun weitergehen?

Stuttgart - Er galt als Problemfall. Dann trat im Bereich unter der Paulinenbrücke der Verein Stadtlücken auf den Plan, der sich für gute öffentliche Räume und eine lebenswerte Stadt einsetzt. Mit ihm kam die Hoffnung, dass an dem Unort etwas Beispielhaftes für die Stadtentwicklung entstehen könnte. Ist der Platz unter der Brücke nun aber doch wieder eine Problemzone ersten Grades? Rund 50 Absender, darunter Schwester Margret von der benachbarten Franziskusstube der Caritas für Obdachlose, haben einen Brandbrief ins Rathaus geschickt.

 

Der Tenor: Wie die Stadt 1,6 Millionen Euro verschleudere, sei eine Schande. Was sie dort zusammen mit dem Verein Stadtlücken mache, überschreite die Toleranzgrenze bei den Absendern – Anwohnern, Gewerbetreibenden der Umgebung und entfernt wohnenden Unterstützern – schon lang. Seit der Verein den Platz bewirtschafte, werde eine „einseitige, schädliche Subkultur angezogen“, der Platz zum Treffpunkt einer „Drogenlegalisierungsszene“. Mehr noch: „Offenbar soll die Drogenszene dort etabliert werden, getarnt als Subkultur“, heißt es im Brief.

Schwester Margret bringt die Briefe auf den Weg

Zudem gebe es vermehrt üble Sprayereien. Beleidigungen und Verleumdungen seien an der Tagesordnung. Statt den Platz für eine umfassende Bürgerbeteiligung über seine Zukunft zur Verfügung zu stellen, sei dort die „nachhaltige Nutzung von Stadtraum und Mobilität bei Verdrängung des motorisierten Individualverkehrs erprobt“ worden. Und „statt den Platz endlich aufzuwerten, wird der teure und sinnlose Weg unreflektiert weitergegangen“, heißt es im Brief. Nun brauche es unverzüglich eine unabhängige Prüfung und eine Abwägung von Kosten und Nutzen.

Eingeworfen wurden die Briefe im Rathaus von Schwester Margret. Inzwischen hat die federführende Abteilung für Wirtschaftsförderung unsere Zeitung wissen lassen, man arbeite momentan an der Frage, ob und mit welchem Konzept der Raum unter der Brücke künftig genutzt werden soll. Wie schon früher, wolle man darüber auch mit den Anwohnern reden.

Raiko Grieb (SPD), Bezirksvorsteher in Stuttgart-Süd, möchte dabei gern ein Wörtchen mitreden. Er plädiert für eine differenzierte Betrachtung. Der Duktus des Briefes hat ihn erstaunt. Was da an Missständen aufgelistet wurde, sei nicht dem Verein Stadtlücken zuzuschreiben. Der habe vielmehr „viele positive Impulse gegeben“. Viele Probleme seien schon früher da gewesen, manche vielleicht zurückgekommen, weil der Platz zeitweilig zu wenig bespielt worden sei. Ein Beispiel für die Verfehltheit mancher Vorwürfe sieht Grieb im wilden Urinieren. Das falle heute einfach nur stärker auf, weil die Pinkler nicht mehr hinter geparkten Autos verschwinden, sondern der Platz unter der Brücke von Autos geräumt ist.

Verein Stadtlücken verteidigt sich

Und tatsächlich musste früher fast jeder parkende Autofahrer und fast jeder Passant mit angehaltenem Atem über bestimmte Teile des Geländes eilen, um heftigen Urinausdünstungen zu entkommen. Ein öffentliches WC ohne Benutzungsgebühren sei nicht von ungefähr Bestandteil der Pläne, sagt Grieb. Und die Drogenszene? Da seien Ortswechsel üblich. Sie könne man nicht steuern, nicht einfach wegschaffen. Grieb jedenfalls hält nichts vom Abbruch des Projektes, für das der Gemeinderat bei den Etatberatungen im Dezember 2019 rund 1,6 Millionen Euro genehmigte. Jetzt müsse man erneut vermitteln, meint Grieb, in dessen Bezirk der Platz unter der Brücke liegt, während die zentrumsnäheren Läden und die Wohnhäuser zum Gebiet von Veronika Kienzle (Grüne), Bezirksvorsteherin Mitte, gehören.

Die Zielscheibe der Kritik, der Verein Stadtlücken, will gar nicht behaupten, dass er alles perfekt gemacht hätte. Aber der Verein kontert die Vorwürfe gleichwohl. Die Drogenszene sei mit einer nahe gelegenen Substitutionspraxis erklärbar. Frühere Gesprächsrunden seien von den Anrainern „nicht so stark angenommen worden“, sagt der Sozialarbeiter Marco Zörn seitens des Vereins, jedoch habe es Maßnahmen gegeben wie die Begrenzung des Lärms durch Aktivitäten unter der Brücke. Bisher sei fast alles ehrenamtlich begleitet worden. Wenn das Geld der Stadt komme und vier Arbeitsstellen statt bisher einer ermögliche, würden mehr Moderation und mehr Gemeinsamkeit möglich.

CDU fürchtet um den Stadtfrieden

Mit der CDU hat unterdessen schon die erste Gemeinderatsfraktion reagiert. In einem Antrag thematisiert sie die Klagen über eine offene Drogenszene, Schmierereien, Beleidigungen und Belästigungen und „eine einseitige Taubheit der Stadtverwaltung für die Anliegen der Einrichtungen, Betriebe und Anwohner“. Die CDU will wissen, wie die Verwaltung die weitere Zuspitzung der Stimmung und die Bedrohung des Stadtfriedens verhindern möchte.

Nach Informationen unserer Zeitung wird das Projekt freilich unerwartet auf Teile der Flächen verzichten müssen. Denn die Stadtverwaltung möchte unter der Brücke einen Teil der Fahrzeuge und Mannschaftsräume unterbringen, während die Feuerwache Süd in der Katharinenstraße saniert wird. Diese Informationen bestätigte die Pressestelle der Stadt. Nahe der Tübinger Straße dürfte unter der Brücke ein paar Jahre lang ein Gebäude für Gerät und Mannschaften angesiedelt werden, nur der Bereich bei der Hauptstätter Straße davon frei bleiben. Der Vorteil: So könnte eine WC-Anlage entstehen, die dann für die künftige Nutzung ohne Feuerwehr erhalten bleibt. Doch ob es in der Interimszeit mit Feuerwehr wohl ruhiger wird für die Anrainer?