Anlässlich der Olympischen Sommerspiele 2016 in Brasilien blickt 3Sat in Filmen und Dokumentationen auf das südamerikanische Land.

Stuttgart - Seit 2010 arbeitet Andreas Wunn als Korrespondent für das ZDF in Brasilien. Zu spüren gewesen sei damals eine „Aufbruchstimmung“, gespeist aus einem permanenten Wirtschaftswachstum, sagt er. Dass er anlässlich der Olympischen Sommerspiele, die vom 5. bis zum 21. August in Rio de Janeiro stattfinden, eine Reportage mit dem Titel „Absteiger Brasilien“ drehen würde, habe er sich damals „nicht vorstellen können“.

 

In seinem neuen Film, den 3Sat am Mittwoch um 21.45 Uhr zeigt, befasst sich der Lateinamerika-Experte damit, wie das Land in eine gravierende politische und wirtschaftliche Krise geraten konnte. Die fehlenden Investitionen in die Infrastruktur und das Rentensystem, der Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Pertrobas, in den viele Spitzenpolitiker verwickelt sind – das sind nur einige Gründe. Man fühle sich, als sei man mitten drin in dem WM-Halbfinalspiel gegen Deutschland, das Brasilien mit 1:7 verlor, sagt ein Wirtschaftssekretär aus der Region Rio. „Nur dass das Spiel nicht mit dem 7:1 endet, es geht immer weiter.“

Wunns Film ist Teil des Schwerpunkts „Im Fokus: Brasilien“, in dem sich 3Sat bis zu diesem Mittwoch aus verschiedenen Perspektiven mit dem Austragungsland der Sommerspiele beschäftigt. Während etwa Wunn daran erinnert, dass im Land eine zeitlang Euphorie herrschte, ist die Regisseurin Monika Treut für ihren Film „Zona Norte“ (Dienstag, 22.25 Uhr) in eine Welt eingetaucht, in der es nie viel Grund für Optimismus gab. Sie hat in Maré gedreht, der gefährlichsten der 120 Favelas in Rio. 130 000 Menschen leben in diesem Armenviertel.

Das Gehirn muss organisiert werden

Treut kehrt damit zurück an einen Ort, an dem sie 2001 den Film „Kriegerin des Lichts“ drehte – ein Porträt der Pädagogin Yvonne Bezerra de Mello, die sich mit ihrem Projekt Ueré um Straßenkinder in Rio kümmert. 15 Jahre später fragt Treut unter anderem, wie sich das Projekt entwickelt hat und was aus den damals von de Mello betreuten Kindern geworden ist.

Zum Alltag ihrer Schützlinge gehöre „die Armee vor dem Haus“, sagt die Ueré-Gründerin. 2500 Soldaten seien in Maré stationiert, sagt ein Militärsprecher gegenüber Treut. Sie gehen gegen Drogenbanden vor, nehmen dabei aber in Kauf, dass die Bevölkerung sie als Besatzer wahrnimmt. Die Armee denke „nicht nach über die Menschen, die hier leben“, sagt de Mello.

Die Bildungsexpertin hat eine pädagogischen Methode entwickelt, deren Ausgangspunkt die Lernschwierigkeiten von Kindern sind, die in Kriegsgebieten oder anderen gewalttätigen Umgebungen aufwachsen. Sie hätten ein „beschädigtes Kurzzeitgedächtnis“, und dadurch werde auch ihr Langzeitgedächtnis beeinträchtigt, sagt de Mello. Ein wichtiger Teil ihrer Methode sei es, eine neue Verbindung zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis herzustellen, beziehungsweise das Gehirn zu organisieren.

Schlechtes Wasser und miserable Badestrände

Wie es um das Erinnerungsvermögen einiger Kinder bestellt ist, die in Ueré betreut werden, zeigt Treut in einer Sequenz. In einer Nachmittagsrunde erzählen die Mädchen und Jungen, wie ihr bisheriger Tag verlaufen ist – einige haben zu diesem Zeitpunkt vergessen, was sie gegessen haben, oder ordnen die Ereignisse des Tages in einer falschen Reihenfolge an. Es ist eine sehr ausführliche Passage, die verdeutlicht, dass sich Treut viel Zeit nimmt für die Menschen, mit denen sie sich beschäftigt.

Eine ähnliche Rolle wie Yvonne Bezerra de Mello in „Zona Norte“ spielt der weltbekannte Fotograf Sebastiao Salgado in der Dokumentation „Ausgetrocknet: Brasilien in Not“ (Mittwoch, 21 Uhr). Er füllt eine Art Heldenrolle aus. Auf seinem Anwesen hat der 72-Jährige das Instituto Terra gegründet, das den Wasserquellenschutz propagiert und die Wiederaufforstung von gerodeten Waldgebieten initiiert.

Mehr als die Hälfte der 100 Millionen Menschen, die in Brasilien leben, seien von der Wasserkrise betroffen, sagt António Cascais, der Autor des Films. Eine Ursache sei dafür der Raubbau an der Natur, etwa bei der Errichtung der aus dem Boden gestampften Millionenstädte in Mittelbrasilien. Cascais spricht mit Klimaschutz-Aktivisten, Wissenschaftlern sowie den Betroffenen der größten Umweltkatastrophe in der Geschichte des Landes. Im Herbst 2015 sorgten Dammbrüche im Bundesstaat Minas Gerais dafür, dass Abwasser eines Eisenerzbergwerks den 660 Kilometer langen Rio Doce zerstörten. Die Bilder des nunmehr braunen Flusswassers sind schockierend. Eine Wasserkrise gibt es auch in der Olympiastadt. Die Trinkwasserqualität ist schlecht, und weil es dem Bundesstaat Rio de Janeiro an Geld fehlt, hat er die Privatwirtschaft aufgerufen, sich an einer Abwasseraufbereitungsanlage zu beteiligen. Auch die Badestrände sind in einem miserablen Zustand. Falls jemand noch Klischees von der Copacabana im Kopf hat: Nach Cascais’ Film wird er sie los sein.