Der brasilianische Hoffnungsträger Neymar scheint bereit für seine Hauptrolle bei der Fußball-WM. Der Superstar vom FC Barcelona zeigt sich unbeeindruckt vom Erwartungsdruck in der Heimat – zumindest vor Turnierbeginn.

Rio de Janeiro - Brasilianer planen nicht? Ein ziemliches Vorurteil! An diesem Donnerstag heben die Brasilianer ab nach São Paulo, exakt eine Woche vor ihrem WM-Eröffnungsspiel gegen Kroatien. Für 16.44 Uhr ist der Abflug von Rio de Janeiros internationalem Airport terminiert, eine Stunde später soll die Maschine auf São Paulos Stadtflughafen Congonhas andocken. Weiter geht es von dort ins Hotel Transamérica, ehe der Trainer Luiz Felipe Scolari um Punkt 19 Uhr zur Tafelrunde bittet. Abendessen ist angesagt, 45 Minuten später eine Teamsitzung, um 22.30 Uhr noch ein Imbiss, danach Nachtruhe.

 

Diese Agenda steht seit Wochen. Was wirkt wie der ultimative Countdown zum Turnierstart ist jedoch nur eine Simulation. An diesem Freitag steht für die Seleção die Generalprobe gegen Serbien an, ehe es am 12. Juni wirklich ernst wird in São Paulo. Einen freien Samstag gewährt Scolari seinen 23 Spielern noch nach dem Rückflug ins Teamquartier Granja Comary in Teresópolis nördlich von Rio, dann greift wieder sein durchgetakteter Stundenplan für die letzten vier Tage des Vorlaufs.

Bei der Nationalelf der WM-Gastgeber gleicht die Präzision der Vorbereitung beinahe der eines Raketenstarts auf dem Weltraumbahnhof von Cape Canaveral. Und zumindest bis jetzt läuft die Mission „Hexa“, Titel Nummer sechs, tatsächlich ziemlich fahrplanmäßig. Abgesehen von ein paar schonenden Maßnahmen für die beiden Stammspieler Thiago Silva und Paulinho kann Scolari sein Programm durchziehen.

Vor allem aber darf sich der Trainer über die erstaunliche Frühform Neymars freuen. Der 22-Jährige vom FC Barcelona ist schon lange vor dem Turnier als der große Star auserkoren worden, obwohl es seine erste WM sein wird. Doch wenn die jüngsten Eindrücke nicht täuschen, dann könnte der große Hoffnungsträger der Brasilianer allen Zweifeln zum Trotz tatsächlich bereit sein für die ihm zugedachte Hauptrolle bei der Premiere auf der Weltbühne.

Artistikeinlagen wie in der Spielkonsole

Spätestens seit Dienstag jedenfalls kommt man kaum umhin, ihm so ziemlich alles zuzutrauen bei dem Turnier. Wie sein eigener Avatar in einer Spielkonsole wirbelte Neymar die bemitleidenswerten Gegenspieler aus Panama beim 4:0-Testspielsieg in Goiânia durcheinander. Das 1:0 in der 27. Minute erzielte er mit einem direkten Freistoß in den Winkel selbst, das 3:0 von Hulk (46.) legte er per Absatzkick auf, das 4:0 von Willian (73.) leitete er mit einem aus dem Fußgelenk durchgesteckten Ball ein. Nur bei Dani Alves’ 2:0 (40.) galt der Applaus allein dem Schützen.

Dafür konnten die gut 30 000 Zuschauer Neymar noch für dessen Leichtfüßigkeit, die schnellen Antritte und vor allem die zahlreichen und auch meist zielführenden Artisteneinlagen aus der Abteilung Playstation feiern. Sie sahen ein Spielkind im Konsolenmodus. Am Expertenmikrofon des Senders Globo staunte sogar „Fenômeno“ Ronaldo. „Neymar ist noch besser als beim Confed-Cup“, säuselte der ehemalige – und verbal zuweilen immer noch – Unglaubliche hingerissen.

Für die ganz großen Hymnen ist es gewiss noch zu früh, zumal Panamas Kicker nicht durchweg den Eindruck erweckten, astreine Asketen zu sein. Auch Neymars Kollegen überzeugten nicht immer im vorletzten Test, bei dem Dante als Vertreter Silvas und Luiz Gustavo solide durchspielten. Dafür begeisterte Neymar umso mehr. Das Nationaltrikot scheint ihn nach dem durchwachsenen ersten Jahr in Barcelona zu beflügeln und er sich in diesem an sich selbst berauschen zu können. Und während sich andere eingeplante WM-Helden wie Portugals Cristiano Ronaldo, Argentiniens Lionel Messi oder der Franzose Franck Ribéry mit rätselhaften Symptomen einreihen in die lange Liste der überlasteten Profis, tänzelt der Freigeist der Seleção scheinbar federleicht dem Turnierdruck entgegen.

Der kickende Popstar in beeindruckender Frühform

Dabei hatte sich ja auch er zuletzt für vier Wochen im Krankenstand befunden. Doch Neymar scheint genau rechtzeitig wieder genesen zu sein und zudem wie von Scolari erhofft in Barcelona an spielerischer Reife gewonnen zu haben. Nun hat der kickende Popstar bereits eine Form aufgebaut, die auch bessere Kontrahenten als die Jungs aus Mittelamerika ziemlich ratlos zurücklassen könnte.

Die baten ihn im Anschluss noch um ein Erinnerungsfoto, obwohl sich Neymar mit ihnen auf dem Platz nach einigen Fouls ein paar Scharmützel geliefert hatte. Ein kleiner Schatten im hellen Schein. Ganz der abgebrühte Profi ließ Neymar später wissen: „Ich bin noch nicht fertig. Es fehlt noch der Rhythmus. Ich war ein bisschen müde am Ende und bin noch dabei, meine bestmögliche Form zu finden.“

Dann erinnerte Neymar an die verbleibenden Tage bis zum WM-Start wie bei einem Countdown. Den Trainer Scolari und seine alte neue Liebe zum Durchtakten wird’s gefreut haben.