Länder auf dem Westbalkan, die auf den Beitritt in die EU warten, fürchten nach dem Austritt von Großbritannien die Erweiterungsbremse.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Bange machen gilt nicht. Zumindest diejenigen, die noch ungeduldig vor den EU-Toren mit den Hufen scharren, lassen sich vom britischen Ausscheren aus der vermeintlichen EU-Joch kaum schrecken. Ungewohnt einträchtig erschallen im EU-Wartesaal auf dem Westbalkan von Tirana bis Belgrad die Treuebekenntnisse zum fernen Ziel. „Wir werden unseren EU-Pfad fortsetzen, da wir dafür den Auftrag der Bürger bei den Wahlen im April erhalten haben“, versichert Serbiens bisheriger und künftiger Premier Aleksander Vucic. Die Entscheidung der britischen Bürger sei „überraschend“, aber werde die EU-Integration seines Landes „nicht wesentlich verzögern“, verkündet trotzig Denis Zvizdic, der Regierungschef von Bosnien und Herzegowina. Das britische Votum sende zwar eine etwas „deprimierende Botschaft“ an die Staaten, die die EU-Mitgliedschaft anvisierten, gibt Bakir Izetbegovic, das muslimische Mitglied in Bosniens dreiköpfigem Staatspräsidium offen zu. Doch sein Land werde sich „nicht entmutigen“ lassen. Die EU sei nach wie vor „das am besten Territorium der Welt“: „Bosnien benötigt sie als Ziel, als eine Idee, die uns hilft, manchmal schmerzhafte Reformen umzusetzen.“

 

Rückenwind für Europa-Gegner

Andere Würdenträger der krisengeplagten Region halten mit ihren Befürchtungen nach dem Brexit weniger diplomatisch hinter dem Berg. Nicht nur die ungewisse Zukunft des angeschlagenen Wohlstandsbündnisses erfüllt dessen Wartesaal mit Sorge. Nach der britischen Entscheidung zum Abschied fürchten viele den verstärkten Tritt auf die Erweiterungsbremse. Der Grund: In den nächsten Jahren könnte die EU zu sehr mit ihrer Konsolidierung beschäftigt sein, um noch an ihre Ausweitung zu denken. Das Ergebnis des britischen Referendums sei für die Region „keine gute Nachricht“, bekennt Kosovos Europaminister Bekim Collaku: „ Für uns ist es schmerzhaft, dass einer der Staaten, die uns als einer der ersten anerkannten und uns auf unserem europäischen Pfad mit am meisten unterstützten, nun die EU verlässt.“

Die neue EU-Ära werde für die Region eher „unerfreulich“, orakelt düster Montenegros früherer Außenminister Miodrag Vlahovic: Es gelte nun für die EU-Anwärter die „richtige Balance zwischen Vorsicht und Entschlossenheit“ zu finden. Die Entscheidung der Briten werde den „anti-europäischen Strukturen“ in seinem Land Rückenwind verleihen, fürchtet Montenegros Premier Milo Djukanovic eine Erstarkung von Montenegros EU-skeptischen und prorussischen Kräften: „Sie werden nun noch intensiver versuchen, die Illusion zu beleben, dass es eine Alternative zu der europäischen Entwicklung der Region gebe.“

Erweiterung? Ganz zum Schluss

Doch es ist vor allem die Sorge vor einer Verstärkung der Erweiterungsmüdigkeit in der EU, die auf deren Wartebank für Beunruhigung sorgt. „Der Brexit wird den Weg Serbiens in die EU abbremsen“, titelte am Wochenende die Belgrader Zeitung „Blic“. Sie fürchte, dass der Westbalkan vom EU-Radar rutschen könnte, hatte schon vor dem Brexit-Votum Serbiens EU-Chefunterhändlerin Tanja Miscevic bekannt: „Die Verhandlungen der 27 Mitgliedsstaaten mit Großbritannien werden zur EU-Priorität.

Dann kommen die Flüchtlingskrise und der Pakt mit der Türkei. Und nur, wenn sonst nichts ansteht die EU-Erweiterung.“ Noch deutlicher drückt sich Safet Gerxhaliu, der Vorsitzende von Kosovos Handelskammer, aus: „Man kann nicht erwarten, dass eine vom Abschied Großbritanniens erschütterte EU sich allzu sehr mit ihrer Erweiterung auf dem Balkan beschäftigen wird.“