Brigitte Fassbaender hat ihre Memoiren veröffentlicht: ein ereignispralles, nachdenkenswertes, in Teilen auch ungemein lustiges Buch. Am 9. November tritt die Mezzosopranistin bei der Hugo-Wolf-Akademie im Stuttgarter Wilhelma-Theater als Sprecherin auf.

Stuttgart - In Zeiten, in denen schon Dreißigjährige in Büchern auf ihr Leben zurückblicken, wirken die Memoiren einer Achtzigjährigen ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. „Bei mir“, hat der Mezzosopran-Weltstar, die gefragte Gesangspädagogin, die Intendantin (bis 2012 am Tiroler Landestheater in Innsbruck) und Opernregisseurin Brigitte Fassbaender im Interview mit unserer Zeitung einmal gesagt, „liegt immer ein Gedichtband auf dem Nachttisch, aber da bin ich halt noch von früher übrig geblieben.“

 

Was alles von früher übrig blieb, hat die gebürtige Berlinerin in einem bereichernden Buch zusammengefasst, dessen Munterkeit rein gar nichts mit Lebensabschiedspathos oder gar Resignation zu tun hat. „Eigentlich wollte ich mit 44 sterben. So hatte ich es mir jedenfalls als Schulmädchen vorgenommen“: Das ist der augenzwinkernde Beginn der „Komm’ aus dem Staunen nicht heraus“ betitelten Memoiren, das sind die ersten Schritte in eine faszinierende Welt. Schwerpunkte liegen bei den frühen Erfolgen an der Bayerischen Staatsoper München, bei den ersten größeren Rollen, bei ihren großen Erfolgspartien, dem Cherubino, dem Octavian, dem Orlofsky, beim Lied, dem ihre besondere Liebe galt und gilt. Unterwegs begegnet man großen Dirigenten wie Carlos Kleiber („Sein Anspruch an sich und andere war maßlos“), Joseph Keilberth („um ihn war eine Aura von Einsamkeit, Strenge und Eile“), Otto Klemperer, Josef Krips und Georg Solti („der vielleicht größte Womanizer unter seinesgleichen“).

Siamkatzen und die beste Borschtsuppe der Welt

Anekdoten könne sie nicht erzählen, schreibt Brigitte Fassbaender – dennoch lebt ihr Buch auch von kleinen, feinen Situations- und Charakterskizzen am Rande. Sie erzählen von Montserrat Caballé, deren Mutter immer pünktlich genau dann Herzanfälle bekam, wenn die Tochter Text und Musik einer Partie noch nicht beherrschte, von der besten Borschtsuppe der Welt, gekocht von der Pianistin Elisabeth Leonskaja, von der Vorliebe des Liedpianisten Irwin Gage für Siamkatzen oder auch von dessen Kollegen Helmut Deutsch, einem „trinkfesten Frauenliebling“.

Fassbaender nimmt kein Blatt vor den Mund. Nicht in Sachen Glauben („Mozart ist Gottesbeweis. Schubert ist Gottesbeweis“), nicht in Sachen „Metoo“, nicht in Sachen Seilschaften und Machtmissbrauch am Theater. Den Abschluss des Buches bilden das Inszenierungstagebuch von Fassbaenders Regiearbeit an Benjamin Brittens „A Midsummer Night’s Dream“ und Inszenierungsideen zu einigen Opern. Wie der Sängerin und der Autorin Brigitte Fassbaender geht es auch der Regisseurin Fassbaender nie um schrille Effekte, sondern immer um Vertiefung. Um den Kern der Kunst. „Ich bin geblieben und habe meine Pflicht erfüllt“: Dieser Satz, der eine Lebenssumme ausdrückt, könnte über dem ganzen Buch stehen.

Termin: Richard Strauss, „Enoch Arden“ mit Brigitte Fassbaender (Rezitation) und Wolfram Rieger (Klavier): Samstag, 9. 11., 19.30 Uhr, Wilhelma Theater Stuttgart

Buch: Brigitte Fassbaender: „Komm’ aus dem Staunen nicht heraus“. C. H. Beck-Verlag, München. 381 Seiten, 26,95 Euro.