Nach dem „News of the World“-Abhörskandal kämpft Rupert Murdoch mit einer Sonntagszeitung gegen den Niedergang seines Medien-Imperiums.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - "Nicht übel“ finden die Leute am Kiosk des Kreisverkehrs von Hammersmith das neue Sonntagsblatt, das sie in Händen halten. Endlich habe man auch sonntags wieder was zu lesen, „was einem gefällt“. Die Zeitung, in der Nacht zuvor in dicken blau-roten Packen am Rinnstein abgeladen, bietet die übliche Mischung. Zum Beispiel der „weltexklusive“ Bericht darüber, wie das Herz des TV-Sternchens Amanda Holden während der Geburt ihres Babys „40 Sekunden lang aussetzte“. Und wie Amandas Blut „auf den Boden klatschte“. Das Ex-Model Katie Price schreibt in ihrer Kolumne, Kinder bräuchten Liebe „und keine vornehmen Schulen“. Der Erzbischof von York frohlockt, dass man nun „die beliebteste Zeitung unseres Landes“ auch am Tage des Herrn lesen könne: „ Echt toll!“ Der Politikchef des Blattes fordert die Iraner auf, ihren „verrückten“ Präsidenten zu stürzen. Und auf Seite Drei bedeckt eine nackte Schöne versonnen ihre Brüste.

 

Seit der Medienunternehmer Rupert Murdoch im Juli wegen einer Abhöraffäre in London sein Topskandalblatt und sonntägliches Paradepferd „News of the World“ über die Klinge springen ließ, haben dessen sieben Millionen Leser ihre Wochenendkost schmerzlich vermisst. In den Hochzeiten hat er damit 150 Millionen Pfund jährlich verdient. Nun, mit der Erweiterung seiner bisher nur wochentags erscheinenden „Sun“ um eine Sonntagsausgabe, ist diese Lücke wieder geschlossen.

Keine eigene Redaktion mehr

Der eine oder andere Leser der neuen „Sunday Sun“ zeigt sich dabei auch enttäuscht. „So viel Besonderes“ enthalte das Blatt ja nicht, meinen zwei am Kiosk abgestiegene junge Radler in Hammersmith. Was letztlich keine Überraschung ist. Die „Sunday Sun“ hat keine eigene Redaktion mehr wie noch ihr Vorgängerblatt „News of the World“. Sie wird einfach von einer erweiterten „Sun“-Redaktion, ganz im bekannten Stil der „Sun“, hergestellt. Das senkt die sonntäglichen Produktionskosten gegenüber früher auf ein Zwanzigstel. Was es Murdoch wiederum erlaubt, das neue Blatt für 50 Pence auf den Markt zu werfen. Schon haben die Rivalen ihre eigenen Verkaufspreise auf dieselbe Summe senken müssen. Für einen Preiskrieg hat sich Murdoch immer begeistern können. Mit seinem Milliardenvermögen als eiserner Reserve hat er schon früher Konkurrenten, die auf schwächeren Beinen standen, an die Wand zu drängen versucht.

Drei Millionen Exemplare hat er drucken lassen. Mindestens zwei Millionen will er verkaufen. Da seine Wochentags-„Sun“ noch immer eine Auflage von 2,7 Millionen Exemplaren aufweist und über sieben Millionen Leser erreicht, hat sich der Verleger auch für die Sonntagsausgabe gute Chancen ausgerechnet. Mehr als drei Millionen Pfund aus der Murdoch-Kasse sind angeblich vorige Woche allein in die Werbung geflossen. Bei Beobachtern der darbenden Zeitungsszene der Insel hat die Aktion Murdochs Bewunderung gefunden. Dass der 80-jährige Verleger ungeachtet aller Abwärtstrends der Branche ein neues Massenblatt von solcher Größe zu lancieren versucht, hat selbst die überrascht, die ihm nahestehen. Nur jemand, der über Murdochs „wundersame Mischung aus Zweifelsfreiheit, Impulsivität und Risikofreude“ verfüge, könne „eine so zentrale, geradezu heroische Präsenz“ auf der Medienbühne zeigen, schreibt der Biograf des Verlegers, Michael Wolff.

Rasch und rücksichtslos

An radikalen Maßnahmen hat es Murdoch nie fehlen lassen. So rasch und rücksichtslos er im Sommer den Traditionstitel „News of the World“ zum Tode verurteilte und Hunderte von Journalisten auf die Straße setzte, so dramatisch sucht er nun den verlorenen Sonntagsplatz neu zu besetzen. In der Nacht auf Sonntag ließ er sich in seiner Druckerei in Nordlondon beim Andruck der „historischen“ Sonntagsausgabe der „Sun“ ablichten. Das Bild sollte an die guten alten Zeiten erinnern, in denen ein jüngerer Rupert Murdoch sich an den Rotationsmaschinen im Lichte seiner „Sun“ in London zu sonnen wusste.

Globales Medienempire

Der gebürtige Australier hatte das britische Blättchen 1969 übernommen, es zum Zeitungsriesen aufgepäppelt und sich damit die Basis für sein späteres globales Medienempire geschaffen. Unter seiner Ägide wurde die „Sun“ zur Mutter aller Boulevardblätter, die es zu Spitzenzeiten auf mehr als vier Millionen Exemplare und mehr als zehn Millionen Leser brachte. Erfolg war alles für Murdoch. Mit seinem radikalen Bruch mit den Druckergewerkschaften und dem heimlich vorbereiteten Umzug aus Fleet Street in sein eigenes Druckerzentrum Wapping stellte er 1986 ein weiteres Mal seinen Willen zu kompromissloser Neuerung und seine Führungsrolle in der Branche unter Beweis.

Wie damals habe der Verleger auch jetzt wieder kühn die Initiative ergriffen, streuten Murdochs Helfer in den vergangenen Tagen. Der unabhängigen „Financial Times“ vertrauten Insider der britischen Murdoch-Besitzungen allerdings an, ihr in New York ansässiger Eigner habe nach London einfliegen und dort die persönliche Kontrolle übernehmen müssen, „weil ihm bewusst war, dass seine Markenartikel zum Teufel gingen“. Grund für diese Sorge war die schwere Krise, in die Murdoch seit vorigem Sommer durch seine britischen Titel geraten ist. Erst jetzt zeigt sich langsam das Ausmaß der jahrelangen systematischen Abhöraktionen seiner Mitarbeiter bei der „News of the World“. Die Mobiltelefone möglicherweise Tausender von Briten scheinen von Privatdetektiven im Auftrag der Redaktion angezapft worden zu sein. Hohe Verlagsrepräsentanten, darunter Murdochs eigener Sohn James, sollen von diesen Aktionen gewusst haben. Den Betreffenden drohen Gefängnisstrafen.

In London hat die Krise auch zu spektakulären Machteinbußen Murdochs geführt. Statt von Premierministern als Gast und stiller Ratgeber behandelt zu werden, muss der alte Herr Parlamentsausschüssen Rede und Antwort stehen. Seit November hat sich die Affäre auf die „Sun“ ausgeweitet. „Sun“-Journalisten sollen Polizisten und Militärs bestochen haben, um an Informationen zu kommen. Zehn Mitarbeiter sind deshalb verhaftet worden.

Klagewelle steht an

300 Millionen E-Mails aus Murdochs Printimperium werden zurzeit von der Polizei ausgewertet. Außerdem steht eine neue Welle an Klagen mutmaßlicher Lauschopfer gegen Murdoch an. Unter anderem zieht Cherie Blair, die Ehefrau Tony Blairs, vor Gericht. Unter diesen Umständen mag es nicht reichen, dass die neue „Sunday Sun“ gestern feierlich „saubere Methoden“ versprach. Selbst ein kommerzieller Erfolg seiner neuen Sonntagszeitung, meinen die meisten Medienexperten in London, werde Murdochs Printimperium und sein Renommee nicht retten.

„Da kommt noch eine Menge raus, von dem wir bisher nichts wissen“, glaubt ein Rentner in der kleinen Runde am Hammersmith-Kreisel, wo die neue Zeitung reißenden Absatz findet. Der Zeitungsverkäufer bezweifelt diesmal Murdochs Durchhaltewillen. „Wie kann er das schaffen? Sogar die ,Sun‘ hat im Vorjahr wieder eine Menge an Auflage verloren. Und Sonntagszeitungen werden heute nur noch halb so viele gekauft wie vor zehn Jahren.“ Zyniker glauben, dass Murdoch die Sonntags-„Sun“ nur aus der Taufe hob, um sich einen besseren Verkaufspreis für das gesamte News-International-Paket zu sichern. Der liberale Londoner „Independent“ ist sicher: „Wir sollten uns nicht täuschen lassen. Mr Murdochs Stern ist im Untergehen begriffen.“