Der britische König spricht als erster Monarch überhaupt im Deutschen Bundestag. Er beschwört die Freundschaft mit Deutschland und die Solidarität mit der Ukraine. Charles III. zeigt, dass er weiß, wie das deutsche Publikum tickt.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Der britische König weiß, wie man ein deutsches Publikum unterhält. Wer eine Rede für alle halten will, muss auf den TV-Sketch „Dinner for one“ zu sprechen kommen. Denn den hat in Deutschland fast jeder schon mal gesehen.

 

„In den letzten 50 Jahren haben wir viel gelacht – sowohl über als auch miteinander“, sagt der Monarch bei seiner Rede im Deutschen Bundestag. In diesem Moment gönnt er seinem ansonsten staatstragenden Gesicht eine fröhliche Mimik. „Und während Miss Sophies „Same procedure as every year, James“ hoffentlich kein korrektes Bild des modernen Großbritannien vermittelt, gehört es doch zu einem deutschen frohen neuen Jahr.“

Humor – und eine historische Dimension

Genau genommen, sagt Charles den Satz nicht am Stück, sondern muss nach „Same procedure as every year, James“ unterbrechen, weil lautes Lachen aus den Zuhörerreihen im Parlament dringt. Dieses Lachen beim Zitat aus dem Sketch kommt hierzulande so automatisch wie das Produkt, das in einer Fabrik über ein Fließband läuft.

Die Geschichte von Miss Sophie, die zu ihrem 90. Geburtstag vier verstorbene Freunde eingeladen hat, läuft jedes Silvester im Fernsehen. Die Bilder von ihrem immer trunkeneren Butler, der stellvertretend für die Verstorbenen unentwegt mit ihr anstoßen muss, haben sich ins kollektive deutsche Gedächtnis eingebrannt.

Charles‘ Kurzausflug in die Comedy-Geschichte ist ein heiterer Moment in einer durchaus historischen Stunde. Mit Charles spricht am Donnerstag zum ersten Mal überhaupt ein Monarch im Bundestag. Und: Es ist der erste Staatsbesuch des neuen britischen Königs im Ausland – noch vor seiner Krönung. Der Auftrag, den Charles von der britischen Regierung hat, ist eindeutig: Der König soll sechs Jahre, nachdem die damalige Premierministerin Theresa May formal den Antrag auf den Brexit eingereicht hat, helfen, die deutsch-britischen Beziehungen wieder zu stärken.

Der Brexit war ein Ausdruck der Spaltung der britischen Wählerschaft und zugleich ein Ausdruck der Entfremdung von einer Europäischen Union, die vielen Briten abstrakt, bürgerfern und teuer vorkam. Es ist eine EU, die von Deutschland und Frankreich geprägt worden ist. Für viele Deutsche wiederum war der EU-Austritt der Briten ein Stich ins Herz. Das Land, das viele schon beim Schüleraustausch lieben gelernt haben, wollte nichts mehr von ihnen wissen. Da ist eine Menge Beziehungsarbeit zu leisten beim Besuch des Monarchen in Berlin.

Ein bisschen Pathos

Freilich darf es auch ein bisschen pathetisch zugehen. Der König, der gemeinsam mit seiner Frau Camilla in den Bundestag gekommen ist, sagt: „Die lange und besondere Geschichte unserer Länder enthält noch viele ungeschriebene Kapitel. Lassen Sie uns diese mit einem unermüdlichen Streben nach besserer Zukunft füllen.“

Ausdrücklich würdigt Charles den deutschen Beitrag, bei der Unterstützung der von russischen Truppen überfallenen Ukraine. „Der Entschluss Deutschlands, der Ukraine so große militärische Unterstützung zukommen zu lassen, ist überaus mutig, wichtig und willkommen“, sagt Charles. Da Deutschland oft als zu zögerlich kritisiert wurde, ist das eine freundliche Geste. Eine Geste, die Kanzler Olaf Scholz (SPD), der mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dessen Frau Elke Büdenbender während der Rede des Königs in der ersten Reihe sitzt, gefallen dürfte.

Ein Schottenrock als dezenter Hinweis

Noch kurze Zeit vor Beginn der Veranstaltung hätte man bei einem Blick in den Sitzungssaal des Bundestags nicht zwingend denken müssen, dass sich dort in Kürze etwas Bemerkenswertes ereignen würde. Die Szenerie sieht in den Minuten zuvor nach einer ganz normalen Sitzungsunterbrechung aus, bei der auf ein Abstimmungsergebnis gewartet wird. Einige Abgeordnete stehen zusammen, unterhalten sich, andere tippen in ihre Handys.

Doch dann werden die Tische, an denen sonst die Protokollanten sitzen, rasch mit Blumenschmuck dekoriert. Einen dezenten Hinweis auf das folgende Programm gibt auch ein Mann im Schottenrock, der sich am Rande des Plenarsaals platziert hat. Es ist Major Johnny Thompson, ein schottischer Offizier, der Leibwächter der Queen war und nun auch Prinz Charles dient.

Halb Deutsch, halb Englisch

Der König hält seine Rede etwa zur Hälfte auf Deutsch, zur Hälfte auf Englisch. Dabei wechselt er passagenweise immer wieder hin und her. Sein Vater Prinz Philip hatte deutsche Wurzeln, Charles‘ Deutsch klingt souverän – auch wenn immer wieder ein britischer Akzent durchschlägt. Etwa, als er über die Reichstagskuppel und ihre „Transpärenz“ spricht, die es den Bürgern ermögliche, den Abgeordneten bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Immer, wenn Charles Deutsch spricht, sind seine Augen etwas stärker auf das Skript fixiert. Die Passagen, in denen er auf Englisch fortfährt, nutzt er, um verstärkt Blickkontakt im Publikum zu suchen. Dass der König die deutsche Sprache nutzt, ist eine Geste der Zugewandtheit. Wenn er in seine eigene Sprache wechselt, versucht er, diese innere Haltung auch körperlich abzubilden. Als er sich für die Anteilnahme aus Deutschland nach dem Tod seiner Mutter, Queen Elizabeth II., bedankt, sagt er in bestem Denglisch: „Meine Family und ich waren zutiefst bewegt.“

Lange Vorbereitung auf die Königszeit

Charles trägt seine Rede zurückhaltend, charmant vor. Der Besuch eines britischen Monarchen kann nur etwas Symbolisches haben – die Politik wird von den gewählten Regierungen gemacht. Doch genau diese Aufgabe gelingt dem neuen König hervorragend. Das ist auch wenig überraschend. Schließlich hatte der heute 74-Jährige ein Leben lang Zeit, sich darauf vorzubereiten.

Charles war der ewige Kronprinz – bereits im Alter von zehn Jahren verlieh ihm seine Mutter den Titel Prince of Wales. Die Hochzeit mit Lady Diana Spencer, der ersten Frau von Charles, wurde im Jahr 1981 zum weltweiten Medienereignis. Die Trennung etwas mehr als zehn Jahre später auch. Ebenso wie der spätere Tod von Lady Di bei einem Verkehrsunfall in Paris. Der oft als hölzern geltende Charles war zwischenzeitlich so unbeliebt, dass mancher sich Sorgen um die Zukunft des britischen Königshauses machte, sollte er je König werden. Das ist lange vorbei. Charles wird aufgrund seines Alters wohl eher ein Übergangskönig sein. Aber er hat über die Jahre an Statur gewonnen.

Dass seine beliebte Mutter nicht immer einfach war, lässt sich übrigens auch aus bisher geheim gehaltenen Dokumenten ersehen, über die kürzlich der „Spiegel“ berichtete. Als die Queen im Mai 1978 in Deutschland zu Besuch war, forderte sie vorab von Bundespräsident Walter Scheel ein großzügiges Gastgeschenk: zwei Pferde, die so teuer waren, dass der Bundesrechnungshof es hinterher monierte. Charles erfreute sich nun als Gastgeschenk an einem Foto, das den damals 13-Jährigen im Jahr 1962 bei seinem ersten Deutschlandbesuch an der Seite seines Vaters Prinz Philip zeigt. Ein treffsicheres Präsent von Bundespräsident Steinmeier.

Treffsicherheit beweist auch Charles – insbesondere bei seinen Ausführungen über „Dinner for One“. Während das deutsche Publikum begeistert ist, löst Charles beim britischen zumindest Verwunderung aus. Davon habe er wirklich noch nie gehört, sagt ein britischer Journalist, der die Reise begleitet. „Dinner for One“ kenne in Großbritannien keiner. „Ich muss mir das mal auf Youtube anschauen.“