Alexandra und Heiko Strassl fehlt es an nichts: gute Jobs, sicheres Einkommen und die Möglichkeit, eine lange Reise zu machen. Als ihnen das bewusst wird, entscheiden sie sich, ihre Reise für einen guten Zweck zu nutzen. Wir haben mit den beiden über ihr Vorhaben gesprochen.

Digital Desk: Lena Hummel (len)

Stuttgart - Die Idee, eine Reise zu machen, hatten Alexandra und Heiko Strassl aus Leonberg (Landkreis Böblingen) schon lange. Seit 2001, um genau zu sein, kurz nachdem die beiden ein Paar geworden sind. „Uns ist einfach aufgefallen, dass die Zeit rast. Ein Monat vergeht nach dem anderen und dann ist schon wieder Weihnachten“, sagt Alexandra Strassl. Trotzdem konnte sich das inzwischen verheiratete Paar nie dazu durchringen, sich eine Auszeit zu nehmen – bis November 2017. „Als mein Chef mir eine Beförderung angeboten hat, habe ich zu meinem Mann gesagt, jetzt müssen wir uns entscheiden.“ Denn hätte sie die Stelle angenommen, wäre eine lange Reise für die nächsten fünf Jahre ausgeschlossen gewesen.

 

Nach langen Diskussionen dann die Entscheidung: 2019 wird sich das Ehepaar eine Auszeit nehmen und ein Jahr lang die Welt bereisen. Selbstverständlich ist das nicht. Schließlich haben die Eheleute gute Jobs, sind Führungskräfte in Stuttgarter Unternehmen. Alexandra Strassl arbeitet seit 13 Jahren bei Roto in Stuttgart. Die 39-Jährige hat sich bis zur höchsten Führungsebene hochgearbeitet und hat inzwischen 100 Mitarbeiter unter sich. Heiko Strassl ist Teamleiter für Steuerungssysteme bei Exyte-Technology in Stuttgart, einem Unternehmen, das erst kürzlich aus der M+W Group entstanden ist. Der 45-Jährige hat sechs Mitarbeiter unter sich.

Drei Brunnen für haitianischen Gemeinden

„Als wir die Entscheidung getroffen hatten, dachten wir, das ist doch Wahnsinn, dass man sich so was leisten und die Wahl haben kann“, sagt Alexandra Strassl. Deshalb sei die Idee entstanden, die Reise mit einem guten Zweck zu verbinden und Gutes für Menschen zu tun, die nicht wählen können. Das war die Geburtsstunde des Projekts „hiking4haiti“, was wandern für Haiti bedeutet. Auf seiner Reise will das Ehepaar Spenden sammeln, um Brunnen in drei haitianischen Gemeinden zu bauen und so die nachhaltige Trinkwasserversorgung sicherzustellen. „Eine besondere Bindung zu Haiti hatten wir nicht“, sagt Heiko Strassl. Jeder wisse aber, dass das Land von vielen Naturkatastrophen heimgesucht werde und dass es den Menschen dort schlecht gehe. „Außerdem war uns eigentlich relativ schnell klar, dass wir ein soziales Projekt mit Wasser machen möchten. Einerseits wussten wir, dass Haiti hier Bedarf hat, andererseits war die Entscheidung für Haiti auch unserer Reiseroute geschuldet.“

Das Ehepaar beginnt seine Reise Anfang Januar in Neuseeland. Auf der Südinsel werden die beiden 1200 Kilometer zu Fuß zurücklegen – ausgestattet mit Rucksack und Zelt. Nach drei Monaten geht es weiter in die USA, wo sie mit einem Campervan von Las Vegas nach New York fahren werden. Nach weiteren drei Monaten werden sie nach Haiti fliegen und die Gemeinden besuchen, in denen mit dem Spendengeld Brunnen gebaut werden. „Schließlich wollen wir sehen, wie die Spendengelder eingesetzt werden“, sagt Heiko Strassl. Anschließend wird das Ehepaar seine Reise nach Neufundland fortsetzen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Währenddessen werden die Strassls unterschiedliche Rotary Clubs besuchen, um dort Spendenaufrufe zu starten. Zu Rotary gehört auch ein internationales Netzwerk, das sich für Friedensarbeit, Krankheitsbekämpfung, Wasser- und Hygieneprobleme, Fürsorge für Mutter und Kind, Bildungsförderung und Wirtschaftsförderung einsetzt. Weltweit existieren mehr als 35 000 Clubs. „Ich bin selbst Rotarierin im Rotary Club Stuttgart-Wildpark und konnte ihn dafür gewinnen, uns bei der Spendenabwicklung zu helfen“, erzählt Alexandra Strassl. Während der Reise werden sie Aufnäher auf ihren Rücksäcken tragen, um über den Zweck der Spendensammlung aufzuklären. Außerdem werden sie bloggen, um über den Fortschritt ihrer Reise und Spendeneinnahmen zu informieren und weitere Spenden zu generieren.

Insgesamt 37 500 Euro wollen die beiden sammeln. Das reicht für den Bau dreier Brunnen in drei Gemeinden. „Wir arbeiten mit der Organisation Haiti Outreach zusammen“, erklärt Heiko Strassl. Die Gemeinden müssten sich für einen Brunnen bei der Organisation bewerben. Würden sie ausgewählt, folge eine Vorbereitungsphase zum Thema Hygiene und Brunnenwartung. Den anschließenden Brunnenbau würden die Gemeinden unter Anleitung der Organisation selbst übernehmen, nach der Fertigstellung würden sie weitere zwei Jahre betreut. „Über 90 Prozent der Brunnen, die so in den letzten zehn Jahren entstanden sind, sind heute noch in Betrieb“, fügt Heiko Strassl hinzu. Der Fokus liege auf einem umfassenden Veränderungsmanagement, auf Hilfe zur Selbsthilfe.

70 Prozent der Frauen sind Analphabeten

Die nachhaltige Trinkwasserversorgung ist Alexandra Strassl aus einem weiteren Grund besonders wichtig: „In Haiti sind 70 Prozent aller Frauen Analphabeten, weil sie Wasser holen müssen und keine Zeit haben, zur Schule zu gehen.“ Im Vergleich dazu liege die Analphabetenquote bei der Gesamtbevölkerung bei 40 Prozent. „Die Frauen laufen in der Woche um die 40 Kilometer, um Wasser zu holen und schleppen Kanister, die zwischen zwölf und 15 Kilogramm wiegen“, sagt sie weiter. Mehrmals täglich müssten sich die Frauen auf den Weg machen. Das wollen Alexandra und Heiko Strassl mit ihrem Brunnenbauprojekt ändern.