Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff hat am Dienstag sein Buch „Ganz oben, ganz unten“ vorgestellt. Bei dem Termin bekräftigt er seine Sicht der Dinge: Wulff sieht sich von den Medien verfemt und von der Justiz aus dem Amt getrieben.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Er trägt eine Krawatte in lichtem Blau. So wie sich amerikanische Präsidenten bei offiziellen Terminen zu kleiden pflegen. Doch Christian Wulff hat bei diesem Auftritt nur eines im Sinn: Er will endlich aus seiner Sicht erklären, warum er selbst kein solches Amt mehr bekleidet. Diesem Zweck dient sein neues Buch. „Ganz oben, ganz unten“, lautet der Titel. Es sei „kein Erinnerungsbuch, keine Rechtfertigungsschrift, keine Abrechnung“, versichert er. Es ist eine Anklage. Die Adressaten sind jene, die ihn nach eigenem Verständnis aus der Beletage der Republik vertrieben haben.

 

Selten ist die Karriere eines Politikers dermaßen nach dem Muster einer Achterbahn verlaufen. Wulff kam von ganz unten. Er hatte drei Anläufe gebraucht, um in Niedersachsen Ministerpräsident zu werden, drei Wahlgänge, um ins höchste Staatsamt zu gelangen. Zeitweise wurde er als Kronprinz der Kanzlerin Angela Merkel gehandelt, als ein möglicher Nachfolger. Doch auf dem ranghöchsten Posten, den die Bundesrepublik zu vergeben hat, konnte er sich nur 598 Tage lang halten. Dann begann ein beispielloser Absturz: Wulff verlor sein Amt, seinen Ruf, letztlich auch seine Frau. Zeitweise musste er sogar um den Ehrensold fürchten, den der Staat einem ehemaligen Präsidenten gewährt.

Wulff sieht sich wieder auf dem Weg nach oben

Inzwischen fühlt sich Wulff nach eigenem Bekunden wieder „auf dem Weg nach oben“. Mit dem Erscheinen des Buches könne er „freier als je zuvor die Zukunft annehmen“. Er sei „völlig ohne Groll“, beteuert der gescheiterte Präsident. Doch seine Rückschau klingt ziemlich trotzig. Wulff vertritt die Ansicht, er „wäre auch heute noch der Richtige im Amt“.

„Niemals zuvor haben die Medien unseres Landes einen Politiker in solcher Weise verfolgt“, urteilt der Beck-Verlag, der Wulffs Buch veröffentlicht. Seit dem 27. Februar dieses Jahres darf der Ex-Präsident darauf pochen, dass er zu Unrecht verfolgt wurde. Vor Gericht erreichte er einen Freispruch. Das Urteil, so sagt er, sei für ihn „in Stein gemeißelt als Ehrenerklärung“. Gleichwohl ist es noch nicht rechtskräftig. Eine Revision ist anhängig.

„Der juristische Freispruch wiegt die mediale Vorverurteilung nicht auf“, beklagt der 54-jährige Politiker. Sein Buch richtet sich gegen „eine Berichterstattung, wo sich Medien an Stelle der Justiz setzen“. Er prangert eine „Störung in der Machtbalance zwischen Politik, Medien und Justiz“ an. Staatsanwälte und Reporter hätten sich „gegenseitig Bälle zugespielt“. Eine solche Kumpanei bedeutet aus seiner Warte „eine ernst zu nehmende Gefahr für unsere Demokratie“. Für ein Ermittlungsverfahren gegen ihn habe es keinen hinreichenden Anfangsverdacht gegeben. Insofern sei auch sein Rücktritt wegen des Ermittlungsverfahrens falsch gewesen. Wulff liefert mit diesem Buch eine ganz eigene Art der Revision seines Falles. Es gehe ihm aber nicht um Rechthaberei, betont er. Es gehe ihm um die Pflege der politischen Kultur

Wohlfahrtsverband: Buchtitel ist ein peinlicher Fehlgriff

Ein Bestseller wird dieses Buch kaum werden. Wulffs Exfrau Bettina war mit ihrer Rechtfertigungsschrift schneller auf dem Markt. Schon ein halbes Jahr nach dem Rücktritt hatte sie sich medienwirksam darüber beklagt, welche Zumutungen die Rolle als First Lady ihr abverlangt und wie wenig Wulff im Schloss Bellevue auf ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen habe. Wulffs Werk wird sich wohl nicht so gut verkaufen, wie das Buch, von dem der Titel zur Hälfte abgekupfert ist: Günter Wallraffs Enthüllungsreportage „Ganz unten“ wurde vier Millionen Mal ausgeliefert.

Der superlative Titel bietet eine Zielscheibe für neue Anfeindungen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband spricht von einem „peinlichen Fehlgriff“: Wer über einen Fahrer und 200 000 Euro garantiertes Jahreseinkommen verfüge, könne nicht von „ganz unten“ erzählen. Wulffs Verlag deutet die politische Geografie moralisch. Schließlich habe man diesen Mann „herabgewürdigt zum Schandfleck der Nation“. Die Tragik seines Falles rührt auch von dem Unvermögen her, sich angemessen in der Gesellschaft zu verorten. Diesen Fehler räumt er immerhin ein.